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Garou

Garou

Titel: Garou Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonie Swann
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blökte das Winterlamm, noch immer etwas erschrocken.
    »Oh, ich folge euch nicht«, sagte die Ziege. »Ihr folgt mir!« Dann zog sie mit erhobenen Hörnchen an ihm vorbei und verschwand zwischen den anderen Schafen.
    Das Winterlamm staunte.
     
    Othello führte sie auf dem Kamm des Hanges entlang. Eine gute Wahl. Die Schafe konnten nach beiden Seiten weit durch die Stämme spähen und fingen an, sich im Wald ein wenig zurechtzufinden: vorne und hinten, oben und unten, Dickicht und Lichtung. Manchmal roch es unter dem Schnee ganz appetitlich, nach Knospen und Zweigen und gefallenem Laub.
    Alles war so neu und aufregend, so weit und duftend und eng, dass es eine Weile dauerte, bis Mopple begann, sich über die kleine schwarze Ziege an seiner Seite zu wundern. War sie vorher schon da gewesen? War sie überhaupt da? Mopple versuchte, nicht hinzusehen.
    »Hör zu«, sagte die kleine schwarze Ziege irgendwann. »Hör genau zu!«
    Mopple dachte nicht daran, zuzuhören. Er war viel zu beschäftigt damit, herauszufinden, ob er sich die kleine schwarze Ziege vielleicht doch nur einbildete. Immerhin hatte er schon lange nichts Vernünftiges mehr zwischen die Zähne bekommen. Sein Kopf fühlte sich leicht an und seine Wolle wirr und schwer. Mopple the Whale tat, was er immer tat, wenn er nicht weiterwusste: er kaute. Kauen ohne Futter machte keinen besonderen Spaß - aber es half beim Nachdenken. Vielleicht sollte er nach der Ziege keilen - aber wer sagte, dass eingebildete Ziegen nicht ausweichen konnten? Oder böse meckern? Oder ihm etwas wegfressen?
    Die Ziege kaute auch - einen langen Halm mit einer interessant aussehenden Rispe. Kaum zu glauben, dass sie den hier im Wald gefunden hatte. Oder bildete er sich den Halm etwa auch nur ein?
    »Wir müssen uns unterhalten«, sagte die Ziege mit vollem Mund. »Über den Garou.«
    Mopple erinnerte sich nur zu gut an das, was die Ziege auf Sir Ritchfield über den Garou gesagt hatte.
    »Nein«, sagte er schnell. »Das müssen wir nicht!«
    »Du glaubst mir nicht!«, sagte die schwarze Ziege.
    Mopple hatte sich eigentlich vorgenommen, seine eingebildete Ziege zu ignorieren. Aber dafür war es jetzt zu spät.
    »Nein«, sagte er entschlossen. »Hast du ihn denn gesehen? Mit deinen eigenen Augen?«
    »Niemand hat ihn gesehen«, sagte die Ziege. »Zumindest niemand, der nachher weitergetrabt ist, um davon zu berichten.«
    Sie überlegte einen Augenblick. »Ich habe einmal ein Werhuhn gesehen. Ein weißes. Es sah aus wie alle anderen Hühner, aber wenn im Herbst nachts die Vogelschwärme über den Wald zogen und schrien, verwandelte es sich in einen Menschen, ganz weiß und nackt, und ist über den Hof getorkelt und hat gegluckst und im Staub gescharrt. Das habe ich gesehen!«
    Sie blickte Mopple triumphierend an.
    »Und dann?«, fragte Mopple.
    »Die Dicke hat es geschlachtet«, sagte die kleine Ziege nachdenklich.
    »Ich weiß nicht«, murmelte Mopple. Zora würde es nicht gut finden, wenn er sich hier mit Ziegen über Werhühner unterhielt - eingebildet oder nicht. Mopple kniff die Augen zu Schlitzen zusammen und trabte schneller hinter Lanes wolligem Hinterteil her.
    »Ich heiße Madouc«, sagte die Ziege neben ihm. »Zumindest manchmal.«
    Mopple starrte entschlossen auf Lanes Schwanz und schwieg.
    »Wenn ich nicht Madouc sein möchte, dann bin ich nicht Madouc«, erklärte Madouc unverdrossen. »Dann bin ich Circe. Sie hat nichts dagegen. Wenn du willst, kannst du auch Circe sein.«
    »Ich bin Mopple the Whale«, sagte Mopple the Whale. Und schwieg.
    »Madouc«, sagte Madouc. »Ich glaube, wir werden gute Freunde, Whale.«
    Mopple prallte gegen Lane, die stehen geblieben war. Weiter vorne schien es eine kleine Aufregung zu geben.
    Ritchfield genoss es, hinter seiner Herde herzutraben, all die wolligen Rücken vor sich. Er mochte seine Herde. Mochte es, auf sie aufzupassen. Der alte Leitwidder war sich seiner Verantwortung in der empfindlichen Schlussposition bewusst, hielt die Hörner hoch und die Augen weit offen.
    Ein wunderbarer Ausflug. Und seltsamerweise kam es Ritchfield so vor, als würden sie nicht vorwärts laufen, sondern zurück. Auch das war wunderbar, denn dort gab es Sommer voller Duft und Klang und Glück, es gab ehrenvolle Duelle und das Meer, und es gab Melmoth. Die Welt war so viel leiser geworden seither.
    Ritchfield spähte voller Erwartung in den Wald, um zu sehen, ob er Melmoth vielleicht schon irgendwo erkennen konnte. Dort hinten bewegte sich zweifellos

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