Garou
das Wort »Garou«.
»Sie wollte dir helfen«, sagte Hortense.
»Ha!«, sagte Rebecca. »Findet sie, dass Rot mir nicht steht, oder was?«
»Rot ist die falsche Farbe«, sagte Hortense und sah zu Boden. »Niemand trägt hier Rot.«
Hortense atmete tief ein. Sie warf einen Blick hinüber zu Jules, der am Weidezaun stand und mit großen Augen zum Schäferwagen blickte, dann trat sie ganz nah an Rebecca heran.
»Ecoute, Becca«, sagte sie leise. »Rot ist die falsche Farbe, weil es den Garou anzieht. Das kannst du glauben oder nicht glauben, aber es ist so. Der kleine Junge im Wald hatte eine rote Jacke an, und die Frau hatte einen roten Rock an und das Mädchen eine rote Mütze. Und weil sie wusste, dass du ihr nicht glauben würdest, hat sie es getan - weil sie dich nicht im Schnee finden wollte. Und le petit, das war ihr Junge. Ihr Enkel, der zu Besuch war. Und sie hatte ihm die Jacke geschenkt. Voila!«
Rebecca ließ die Arme hängen, starrte Hortense und das Walross an und sagte kein Wort. Das Walross tupfte sich mit dem Schürzenzipfel die Tränen aus den Augen. Jetzt, wo sie einmal mit dem Quaken angefangen hatte, gab es kein Halten mehr.
Sie ergriff eine von Rebeccas hängenden Händen und quakte und quakte.
»Was sagt sie jetzt?«, murmelte Rebecca. »Becca!«, seufzte Hortense.
»Ich will es wissen«, sagte Rebecca mit einer seltsam flachen Stimme.
»Sie sagt, dass du heute Abend nicht mit dem patron essen sollst«, sagte Hortense. »Voila! Und jetzt Schluss mit diesem ganzen Unsinn. Ich muss mich um Jules kümmern.«
Sie ließ die Schäferin und das Walross stehen und ging zu dem kleinen Jungmenschen hinüber. Jules hielt ihr ein graues Stofftier mit einem Rüssel entgegen.
Das Walross quakte noch eine ganze Weile eindringlich auf Rebecca ein und streichelte ihr die Hand. Dann umarmte sie die Schäferin, die sich steif wie ein Stockfisch machte, und eilte zurück Richtung Schloss.
Rebecca hob den roten Schal aus dem Schnee und sah ihn lange und kritisch an.
»Unsinn«, murmelte sie dann. »Unsinn!«
Die Schafe glaubten nicht, dass es Unsinn war. Sie hatten das Reh im Schnee gesehen. Kein Zweifel: der Garou mochte Rot.
Hin und her, hin und her, her und hin. Mopple konnte die Augen nicht von den lebhaft schwingenden Schwänzen der Ziegen nehmen. Als würden sie sich auf etwas freuen. Auf was man sich hier, im Niemandsland zwischen Wald und Hofmauer, freuen konnte, war Mopple ein Rätsel. Sie hatten sich schweigend von der Weide gestohlen und trotteten jetzt schweigend an der Mauer entlang, die Ziegen im Pulk voran, Mopple hinterher. Das Schweigen gefiel Mopple nicht. Alles war ohnehin viel zu still, der Schnee und die Mauersteine, der Pfad, der Ginster und die braunen Brombeerhecken und sogar Mopples Magen. Mopple mochte Magengeräusche - vor allem zufriedene Verdaugeräusche. Aber sein Magen schwieg.
Mopple schielte nach unten, auf der Suche nach möglichen Gräsern am Wegesrand. Als er wieder aufblickte, waren die Ziegen verschwunden. Mopple blökte erschrocken, und ein grauer Ziegenkopf tauchte wieder um eine Ecke in der Mauer auf.
»Blöke nicht«, sagte Amaltee. »Komm!«
Mopple dachte an Zoras schwarzen, klugen Kopf und bog entschlossen um die Ecke. Die Ziegen waren vor einer wettergebleichten Holztür stehen geblieben. Circe presste ihre kleinen, spitzen Hörnchen gegen das Holz, und die Tür knarrte ein Stück auf.
Mopple schlüpfte schicksalsergeben mit hindurch.
Wände, nichts als Wände. Ein Wirrwarr aus Mauern und Gassen und Plätzen und Offnungen. Und überall roch es verdächtig nach Menschen und Maschinen und sogar nach Schweinen.
Mopple merkte, dass er zitterte wie ein Milchlamm.
»Keine Sorge«, raunte Circe ihm zu. »Wir haben einen Plan! Jede Ziege hat einen Plan. Wir haben drei Pläne. Plan B und Plan F, und wenn alles andere schiefgeht, Plan Z.«
Mopple war kurz davor, wieder Schluckauf zu bekommen. Amaltee lauschte, Circe spähte, und Kalliope witterte. Alle drei Ziegen dachten.
»Was suchen wir hier eigentlich?«, blökte Mopple nervös.
»Bernie«, sagten die drei Ziegen im Chor. »Wir suchen Bernie!«
13
Deshalb wusste sie, dass niemand im Schäferwagen war«, sagte Rebecca. »Weil du ihr Tess vorbeigebracht hast!«
»Und dann hat sie die alte Tess doch allein gelassen!«, sagte Mama.
Rebecca rauchte. Mama blätterte durch ihre Karten, wieder und wieder. Tess saß dabei und wedelte jedes Mal, wenn sie ihren Namen hörte.
»Ich verstehe das
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