Garou
eine halbe Stunde früher... Die Köchin hat morgen ihren freien Tag.«
»Natürlich«, sagte Rebecca. »Nur - leider - meine Mutter kann nicht.«
Sie lächelte.
»Oh«, sagte der Häher und sah alles andere als erfreut aus. »Wie schade! Na dann...«
»Sind Sie wirklich Schönheitschirurg?«, fragte Rebecca, als er sich gerade zum Gehen wenden wollte. »Heißt das, Sie machen reichen Damen die Nasen größer oder kleiner? Und die ... Oberweite?«
Der Häher lächelte wieder. »Nasen sind unser tägliches Brot, fürchte ich.« Die Schafe sahen sich vielsagend an. »Interessanter ist aber, Gesichter vollkommen neu zu modellieren. Gesichter, die bei Unfällen verloren gingen - oder Gesichter, die von Geburt an entstellt sind. Das ist es, worauf ich mich spezialisiert habe. Glauben Sie mir - von den Brüsten reicher Damen halte ich mich fern. Au revoir, Mademoiselle!«
»Rebecca!«, sagte Rebecca. »Au revoir!« Sie lächelte den Häher an, und dann, sobald er ihr den Rücken zugedreht hatte, sprang sie auf und verschwand mit dem Buch im Schäferwagen.
»Schlecht!«, blökte Willow, das zweitschweigsamste Schaf der Herde in einem ungewöhnlichen Anfall von Gesprächigkeit, und die Schafe hatten das Gefühl, dass sie nicht nur das plötzliche Ende des Vorlesens meinte.
»Es ist nicht wirklich ihre Schuld«, sagte Cloud. »Sie ist ein bisschen wie ein Lamm. Neugierig. Jeder Schmetterling lenkt sie ab, und sie vergisst die wichtigen Sachen. Wie Geschichten.«
Cloud war ein erfahrenes Mutterschaf. In diesen Dingen kannte sie sich aus.
»Schmetterlinge?«, blökte Sir Ritchfield begeistert. Ritchfield war auch ein bisschen wie ein Lamm. Er mochte Schmetterlinge. Die Schafe senkten die Köpfe. Es war nicht sicher, ob Sir Ritchfield noch einmal Schmetterlinge sehen würde.
»Riechst du ihn?«, flüsterte Amaltee ehrfürchtig.
Die drei Ziegen hatten sich hinter eine Regentonne zurückgezogen und witterten.
»Ja!«, Mopple ächzte. Ein penetranter Ziegengestank zog auf einmal um das hübsche Haus und seine kleine Herde aus Ställen, Hüttchen und Schuppen. Ein Geruch, anders als der aller anderen Ziegen, die Mopple bisher gewittert hatte: älter. Voller. Reifer.
»Er ist wirklich hier«, sagte Circe leise. Zum ersten Mal sah sie besorgt aus - und kleinlaut. Mopple witterte wieder.
»Es kommt von da hinten«, sagte er. Dort stand, etwas entfernt von den anderen Gebäuden, eine kleine, windschiefe Holzhütte - und stank. Die Hütte sah sinister aus.
»Ich warte hier!«, sagte Mopple und rückte tiefer in die Schatten hinter der Regentonne.
»Kommt nicht in Frage!«, sagte Amaltee.
»Glaubst du, wir haben dich zum Vergnügen mitgenommen?«, fragte Circe.
»Nein!«, meckerte Amaltee.
»Nicht, dass es kein Vergnügen gewesen wäre«, tröstete Kalliope. »Aber du bist hier, um dir etwas zu merken.«
»Und den anderen Wollenden zu erzählen«, sagte Circe.
»Dir werden sie glauben!«, meckerte Amaltee. »Du bist ihr Gedächtnisschaf!«
Mopple seufzte, dachte an Zoras trittsichere Hufe und trabte schicksalsergeben hinter den Ziegen her.
Dann standen sie vor einer halboffenen Tür, der Gestank war fast unerträglich, und die Ziegen zauderten. »Und jetzt?«, blökte Mopple.
»Leise!«, zischelten die Ziegen. »Sonst hört er uns!«
»Wie wollt ihr ihn denn etwas fragen, ohne dass er uns hört?«, flüsterte Mopple zurück.
»Ich weiß noch nicht«, flüsterte Amaltee. »Ich weiß auch nicht, warum die Tür offen ist. Die Tür sollte zu sein.«
»Das ist gut«, sagte Mopple. »Wir können einfach hineingehen und ihn fragen.«
»Und er kann einfach heraus«, sagte Circe.
Mopple überlegte einen Augenblick. Es wurde langsam dämmrig, und im Dunkeln wollte er dem Wolfhund von vorhin ganz bestimmt nicht begegnen.
»Ich guck nach!«, sagte er. Mopple hielt die Luft an und streckte seinen Kopf durch die Türöffnung. Es dauerte einen Moment, bis seine Augen sich an das Dämmerdunkel gewöhnt hatten. Mopple zog den Kopf wieder zurück.
»Ich weiß, warum die Tür offen ist«, sagte er dann. »Schaut!«
Drei Ziegen streckten drei Köpfe durch die Tür und guckten, oben Circe, die lang und schlaksig war, in der Mitte Kalliope und unten Amaltee, die Kleinste von ihnen. Gelbes Stroh am Boden und eine wundervolle, reiche Witterung, so dick, dass man sie beinahe sehen konnte, wie Rauch oder Nebel oder einen Schleier aus Geheimnissen und Spinnweben. Und hinter diesem Schleier stand, schlafend, den Ziegenbart bis
Weitere Kostenlose Bücher