Garou
Zigarette fertig war, ging sie zur Futterkammer und teilte ordentlich Kraftfutter aus. Die Schafe konnten ihr Glück kaum fassen.
»Ich passe auf euch auf«, sagte Rebecca leise. »Diesmal passe ich auf«
Sie wollte gerade wieder ihren Zeigefinger ausfahren, um die Schafe zu zählen, als sich neben ihr jemand räusperte. Rebecca und die Schafe zuckten zusammen. Sie waren so mit Füttern und Gefüttert-Werden beschäftigt gewesen, dass sie den Menschen, der im Morgennebel neben Rebecca aufgetaucht war, gar nicht bemerkt hatten.
»Guten Morgen, Mademoiselle«, sagte Malonchot. »Ich bin gleich gekommen. Die Sache tut mir sehr leid.«
»Wollen Sie sie sehen?«, fragte Rebecca.
»Ich würde sie gerne mitnehmen«, sagte Malonchot. »Ich fahre sie beim Tierarzt vorbei, und dann kann der mir hoffentlich sagen, woran sie gestorben ist. Ich fürchte, ich kann unsere Forensik nicht für einen toten Hund begeistern. Der Fall ist zu alt und - wie die Kollegen meinen - zu kalt. Sie wollen nicht schon wieder für ein Tier ausrücken.«
Rebecca seufzte. »Na gut«, sagte sie dann.
»Was ich noch gerne wissen würde, ist: war sie die ganze Zeit bei Ihnen? Wer hätte Gelegenheit gehabt, ihr etwas zu geben?«, fragte Malonchot.
Rebecca nickte. »Das habe ich mich auch schon gefragt. Die Sache ist die: Mama hat sie gestern zu Madame Fronsac gebracht, als sie duschen gegangen ist. Wir duschen im Gästehaus des Schlosses, wo im Sommer die Touristen untergebracht sind. Und Madame Fronsac ist dort meistens in der Küche, und vor der Küche gibt es einen Vorraum, und dort kommt Tess hin, und da ist sie immer ganz zufrieden. War - war sie zufrieden. Aber jeder kann in diesen Vorraum, jeder. Und ich weiß, dass die Madame nicht die ganze Zeit bei ihr war. Und alles wegen der blöden Sache mit den Klamotten. Es tut mir so leid.«
Rebeccas Augen glitzerten nass.
»Und sie hätte von Fremden Futter genommen?«
»Oh ja«, seufzte Rebecca.
»Ich sehe, was ich tun kann«, sagte Malonchot.
Er zückte eine Tafel Nussschokolade und bot sie Rebecca an. Diesmal brach sich die Schäferin ein ordentliches Stück ab.
»Ich bin auch hierhergekommen, weil ich eine Idee hatte«, sagte er. »Genau genommen zwei. So was kommt vor.«
Rebecca nickte und kaute.
Der große Inspektor drehte sein Gesicht der Sonne zu und blinzelte.
»Ich habe eine Freundin«, begann er. »Eine kluge Frau.« Rebecca hörte auf zu kauen.
»Sie ist Kunstkritikerin, mit einer Galerie in Mauriac. Wenn Sie einmal nach Mauriac kommen, sollten Sie sich die mal ansehen, Mademoiselle, wirklich sehr schön.«
Rebecca kaute weiter.
»Gestern hat sie mich überraschend besucht. Nicht wirklich überraschend, aber überraschend genug, und ich hatte gerade die Bilder von hier auf dem Tisch liegen. Tatortfotos. Von jetzt und von früher. Und sie kam herein, und das Erste, was sie sagte, war >magnifique<. Magnifique! Ich war natürlich überrascht, aber dann habe ich verstanden, dass sie gar keine Tatorte gesehen hat, nur Bilder. Und sie fand die Bilder sehr schön. Alle bis auf eines. Das Reh, das Sie gefunden haben, Mademoiselle, fand sie >null<. Und sie war sich sicher, dass es eine Fälschung ist. Nicht vom selben Künstler.«
Rebecca schluckte den letzten Bissen Schokolade hinunter und nickte.
»Seitdem habe ich verschiedene Überlegungen angestellt. Einmal glaube ich, dass Ihr Reh tatsächlich nicht vom selben >Künstler< ist. Eine Kopie. Es gab auch einige andere Sachen, über die ich mich gewundert hatte: der Fundort - so exponiert am Waldrand. Sehr untypisch. Und dieses Reh wurde mit einer Drahtschlinge gefangen. Die Originale nicht, das kann ich mit ziemlicher Sicherheit sagen. Soweit wir wissen, wurden die Originale alle zu Tode gehetzt.«
»Gehetzt?«, fragte Rebecca. »Die Rehe? Mein Gott!«
»Und dann hat meine Freundin gefragt >Wo stellt er aus?<, und ich habe gesagt >nirgends<, und im selben Moment habe ich gewusst, dass das stimmt. Das Original stellt nicht aus. Die Tatorte sind geschützt. Abgeschieden. Orte, wie sie ein Tier aussuchen würde. Bis auf die Schafherde. Ich nehme an, Sie haben von der Schafherde gehört?«
Rebecca nickte.
»Aber«, Malonchot zückte wieder die Schokoladentafel, »ich habe das Gefühl, dass der Kopist ausstellt.« »Brrrr«, sagte Rebecca.
»Ich möchte Ihnen keine Angst machen«, sagte Malonchot. »Ich erzähle Ihnen das, Mademoiselle, weil ich glaube, dass Sie und Ihre Tiere sehr attraktive Opfer sind - sowohl für das
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