Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Garou

Garou

Titel: Garou Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonie Swann
Vom Netzwerk:
Bäume, viel zu viele. Bäume und ein fernes Heulen. Und zwischen den Bäumen lag etwas Dunkles im Schnee und atmete.
    Es dauerte einen Moment, bis Mopple verstand, dass das Reh nur schlief, schlank und heil und mondbeschienen. Trotzdem stimmte etwas nicht. Kein Schaf würde so schlafen, lang gestreckt und hilflos am Boden, und ein wildes Waldtier wie ein Reh ganz gewiss nicht.
    Etwas raschelte zwischen den Bäumen, und Mopple fuhr herum.
    »Zora?«, fragte er.
    Mopple wurde warm in der Brust. Da stand tatsächlich Zora, mit ihren schönen Hörnern und ihrem schwarzen Gesicht und großen weiten Augen.Vielleicht war sie in den Wald gekommen, um ihn zu suchen!
    Mopple wollte gerade glücklich aus seinem Gebüsch hervortraben, als Zora entsetzt herumfuhr, strauchelte, sich wieder aufrappelte und in wilder Flucht davonstürzte.
    Im gleichen Moment brach schräg hinter Mopple etwas Großes aus dem Dickicht und jagte mit weiten Sprüngen hinter Zora her.
    Zora rannte.
    Hatte sie wirklich gerade Mopple gesehen? Mopple, der dick und rund und freundlich war und so kurzsichtig, dass er nachts die Sterne nicht sehen konnte? Mopple the Whale im Dann dachte Zora nicht mehr zurück, nur voran, in Windeseile.
    Zuerst tat es gar nicht weh. Nur ein plötzliches Wegsacken ihres Hufes beim Herumwirbeln und ein seltsamer Winkel, doch schon nach ein paar Sprüngen merkte Zora, dass mit ihrem Bein etwas nicht stimmte. Bei jedem Schritt gab es unter ihrem Gewicht ein wenig nach, und ein kleiner Schmerz stach tief in ihren Huf. Alles war auf einmal sehr laut, dann sehr leise. Die Bäume rückten dichter um sie zusammen, wisperten und verschwammen vor ihren Augen. Zora hörte Galopp, direkt auf sie zu, und es dauerte eine Weile, bis sie verstand, dass es ihr eigenes Herz war, das da galoppierte.
    Zora blieb an einer Wurzel hängen, strauchelte und stürzte. Sie rappelte sich mühsam hoch und wollte weiterhinken, sinnlos durchs Dickicht, immer weiter, nur weg von den bodenlosen Schatten unter den Bäumen, den samtigen, kaum hörbaren Schritten und dem langen, lauernden Schweigen dazwischen. Sie würde sich wieder verheddern, sie würde wieder fallen, und sie würde - hoffentlich - wieder aufstehen.
    Dann, auf einmal, hörte Zora unter ihrem hämmernden Herzen einen anderen Herzschlag, leise wie ein Gedanke, aber bestimmt. Ruhig. Regelmäßig. Unbeirrt wie ein Schaf, das mit sicheren Schritten am Abgrund entlangläuft, dem Leben entgegen.
    Warte, sagte der Herzschlag. Atme. Wittere. Wir sind zwei. Zora atmete. Ein Ast knackte, nicht weit von ihr. Zora wartete. Nahm einen weiteren, tiefen Atemzug. Sie waren zwei.
    Wald?
    Deswegen mussten sie entkommen. Sie, Zora, musste für sie beide entkommen. Die Panik floss aus ihren Hufen und versickerte im kalten Waldboden. Auch der Schmerz verschwand. Der Wolf war hinter ihr her, der Garou, und Zora würde mehr als nur vier panische Beine brauchen, um ihm zu entkommen. Sie würde ihre Nase brauchen, ihre Augen und Ohren, ihren Kopf, ihr Herz und wenn nötig eben auch ihre Hörner. Denn sie waren zwei.
    Zora lauschte. Das Knacken hatte aufgehört. Irgendwo in der Nähe stand der Garou, und auch er lauschte - auf ein Schaf, das halb verrückt vor Angst durchs Dickicht brach. Zora wich einige vorsichtige Schritte zurück, tiefer in die Schatten. Sie witterte. Warum witterte der Garou nicht? Er musste sich doch nur einfach an ihre unmissverständlich panische Geruchsspur halten.
    Zora senkte furchtlos ihre eleganten Hörner und wartete.
     
    Erst als die ersten Strahlen fahlen Morgenlichts auf die Schafe herabtroffen, merkten sie, dass sie doch geschlafen haben mussten, tief und fest, dicht aneinandergeschmiegt, der Ungeschorene mitten unter ihnen.
    »Die Sonne!«, sagte der Ungeschorene jetzt und trabte zu einem frühen goldenen Sonnenfleck im Stroh. Es war das erste Mal, dass er etwas Vernünftiges sagte. Die Schafe verstanden ihn gut. Die Sonne hatte wieder einmal die Nacht vertrieben und wärmte die Welt wie ein Mutterschaf. Es passierte jeden Tag, und dennoch war es ein großes Wunder. Vor allem im Winter.
    Wie so oft ballten sie sich dicht vor dem Heuschuppen zusammen, um dem Sonnenschaf bei seinen ersten vorsichtigen Schritten über den Himmel zuzusehen.
    Rebecca war schon wach - oder, ihrer Blässe nach zu urteilen, war sie noch wach -, stand an die Tür des Schäferwagens gelehnt und rauchte.
    Morgennebel hing über dem kleinen Bach, und die Weide sah schön aus. Gleich nachdem Rebecca mit ihrer

Weitere Kostenlose Bücher