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Garp und wie er die Welt sah

Garp und wie er die Welt sah

Titel: Garp und wie er die Welt sah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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»Kommst du ins Bett?«, fragte
er, ohne sich zu ihr umzudrehen; seine Absichten – wie auch [463]  seine Gefühle
für sie – waren ihr verborgen: verborgen oder unter
seiner infernalischen Arbeit begraben .
    »Noch nicht«, sagte sie.
    Er wartete auf der Treppe. »Musst
du noch etwas lesen ?«
    »Nein, vom Lesen hab ich fürs
Erste genug«, sagte sie.
    Garp ging nach oben. Als sie zu
ihm heraufkam, musste sie feststellen, dass er bereits schlief. Wenn er mit
seinen Gedanken bei ihr war, wie konnte er dann ohne
sie einschlafen? Aber er war mit seinen Gedanken bei so vielen Dingen – er war
ganz durcheinander gewesen; er war eingeschlafen, weil er verwirrt war. Wenn er
imstande gewesen wäre, seine Gefühle auf irgend eine Sache zu konzentrieren, wäre er noch wach gewesen, als sie nach oben kam. Und
unter Umständen hätten sie sich dadurch einiges erspart.
    So saß sie neben ihm auf dem Bett
und betrachtete sein Gesicht mit mehr Zärtlichkeit, als sie glaubte, aushalten
zu können. Sie sah, dass er einen Ständer hatte, so steif, als hätte er auf sie gewartet, und sie nahm ihn in den Mund
und blies ihn zart, bis er kam.
    Er wachte auf, überrascht, und er
sah sehr schuldbewusst aus – als er zu merken schien, wo er war und mit wem.
Helen jedoch sah nicht im mindesten schuldbewusst aus; sie sah nur traurig aus.
Garp dachte später, dass es so war, als hätte Helen gewusst, dass er von Mrs. Ralph geträumt hatte.
    Als er aus dem Bad zurückkam,
schlief sie tief und fest. Endlich schuldlos, fühlte sie sich befreit und frei,
ihre eigenen Träume zu haben. Garp lag wach neben ihr und betrachtete die
erstaunliche Unschuld in ihrem Gesicht – bis die Kinder sie weckten.

[464]  13
    Walt erkältet sich
    Wenn Walt erkältet war,
schlief Garp schlecht. Es war, als versuchte er, für den Jungen und für sich
selbst zu atmen. Dann stand er auf, um den Jungen zu küssen und an sich zu
drücken. Wer Garp sah, hätte gedacht, Garp könne Walts Erkältung vertreiben,
indem er sie sich holte.
    »O Gott«, sagte Helen. »Es ist
doch nur eine Erkältung. Duncan hatte den ganzen Winter durch Erkältungen, als
er fünf war.« Jetzt, da er bald elf wurde, schien Duncan aus den Erkältungen
herausgewachsen zu sein; aber Walt mit seinen fünf Jahren schlitterte von einer
Erkältung in die andere – oder es war eine lange Erkältung, die mal verschwand
und dann wieder zurückkam. In der Matschzeit im März hatte Garp den Eindruck,
Walts Widerstandskraft sei nun am Ende: der Junge hüstelte ständig, und Garp
wachte jede Nacht mit einem feuchten, quälenden Husten auf. Garp schlief
manchmal ein, während er an Walts Brust horchte, und wachte erschreckt auf,
wenn er das Herz des Jungen nicht mehr schlagen hörte – aber der Junge hatte
bloß den schweren Kopf seines Vaters von seiner Brust geschoben, damit er sich
umdrehen und bequemer schlafen konnte.
    Der Arzt wie auch Helen erklärten
Garp: »Es ist nur ein leichter Husten.«
    [465]  Aber die Unvollkommenheit in
Walts nächtlichem Atmen schreckte Garp aus dem Schlaf. Deshalb war er meist
wach, wenn Roberta anrief; die nächtliche Pein der großen und kräftigen Mrs.
Muldoon hatte für Garp nichts Erschreckendes mehr – er war inzwischen darauf gefasst –, aber Garps verdrießliche Schlaflosigkeit machte Helen nervös.
    »Wenn du wieder an einem Buch
arbeiten würdest, wärst du abends viel zu müde, um die halbe Nacht wach zu
liegen«, sagte sie. Was ihn wach halte, sei seine Phantasie, sagte Helen zu
ihm. Eines der Zeichen, dass er nicht genug geschrieben hatte, war, wie Garp
wusste, dass er zu viel Phantasie für andere Dinge übrig hatte. Zum Beispiel
den Ansturm von Träumen: Garp träumte inzwischen nur noch von schrecklichen Dingen, die seinen Kindern zustießen.
    In einem Traum geschah etwas
besonders Schreckliches: Es passierte, während Garp eine Pornozeitschrift las.
Er betrachtete dasselbe Bild wieder und wieder – es war sehr obszön. Die Ringer
der Universitätsmannschaft, mit denen Garp gelegentlich trainierte, hatten ein
ganz spezielles Vokabular für solche Bilder. Dieses Vokabular hatte sich, wie
Garp feststellte, seit seiner Zeit auf der Steering School, als die Ringer aus
Garps Mannschaft genauso über solche Bilder redeten, nicht geändert. Was sich geändert
hatte, war der leichtere Zugang zu solchen Bildern. Die Ausdrücke waren
dieselben geblieben.
    Das Bild, das Garp im Traum
betrachtete, nahm in der Rangfolge pornographischer Bilder einen der

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