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Garp und wie er die Welt sah

Garp und wie er die Welt sah

Titel: Garp und wie er die Welt sah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Intimitäten.
Ich schließe die Tür nicht ab. Ich mache sie noch nicht einmal gern zu. Mach
sie bitte auf«, bat sie ihn, und er öffnete die Tür.
    Er besorgte ein Auto, einen
gewaltigen Buick Roadmaster, den alten Kombi – mit
richtigen Holzleisten an den Seiten. Es war ein Buick Dynaflow, Baujahr 1951,
schwer und blitzend von Vor-Korea-Chrom und echtem Eichenholz. Er wog fast drei
Tonnen. Er fasste knapp sieben Liter Öl und gut fünfundachtzig Liter Benzin.
Sein Neupreis hatte 2850 Dollar betragen, aber Michael Milton bekam ihn für
weniger als sechshundert.
    »Ein Acht-Zylinder mit
Servolenkung und einem [472]  Carter-Vergaser«, sagte der Verkäufer. »Und noch
nicht zu sehr verrostet.« Er hatte die langweilige, unauffällige Farbe
geronnenen Blutes, war beinahe zwei Meter breit und über fünf Meter lang. Die
vordere Sitzbank war so lang und tief, dass Helen sich der Länge nach
darauflegen konnte, fast ohne die Knie anzuziehen oder ohne den Kopf auf
Michael Miltons Schoß legen zu müssen, was sie aber dennoch tat.
    Sie legte nicht den Kopf auf
seinen Schoß, weil sie es musste; sie mochte diese
Perspektive des Armaturenbretts und die Nähe des alten Geruchs, der von dem
rotbraunen Leder der großen glatten Bank ausging. Sie legte den Kopf auf seinen
Schoß, weil sie gern fühlte, wie Michaels Bein sich verkrampfte und dann wieder
lockerte, wie sein Schenkel sich leicht zwischen der Bremse und dem Gaspedal
hin- und herschob. Es war ein ruhiger Schoß zum Liegen, da das Auto keine
Kupplung hatte: Der Fahrer brauchte nur das eine Bein zu bewegen, und auch das
nur von Zeit zu Zeit. Michael Milton steckte sein Kleingeld aus Rücksicht immer
in die linke Jackentasche, so dass nur die weichen Rippen seiner Kordhosen da
waren, die einen schwachen Abdruck auf der Haut von Helens Wange hinterließen –
und manchmal berührte seine wachsende Erektion ihr Ohr oder reichte bis in ihr
Haar im Nacken.
    Manchmal stellte sie sich vor,
wie sie ihn in den Mund nahm, während sie mitten durch die Stadt fuhren, in dem
großen Auto mit dem Chromkühlergrill, der einem weit aufgesperrten fressenden
Fischmaul glich, und dem Schriftzug Buick Eight quer
über den Zähnen. Aber das wäre, wie Helen wusste, nicht sicher gewesen.
    [473]  Das erste Anzeichen, dass die
ganze Sache womöglich nicht sicher sei, war, als Margie Tallworth nicht mehr zu
Helens Vergl. Lit. 205 kam, ohne auch nur ein Wort darüber zu verlieren, was
ihr an dem Seminar missfallen haben mochte. Helen fürchtete, es sei nicht das
Seminar, was Margie missfallen hatte, und sie bestellte die junge Miss
Tallworth in ihr Arbeitszimmer, um sie nach einer Erklärung zu fragen.
    Margie Tallworth, die im
vorletzten Studienjahr war, kannte sich genügend aus, um zu wissen, dass keine
Erklärung nötig war; bis zu einem bestimmten Zeitpunkt in jedem Semester konnte
man als Student ohne Erlaubnis des Studienleiters aus allen Kursen wieder aussteigen.
»Muss ich einen Grund haben?«, fragte das Mädchen mürrisch.
    »Nein«, sagte Helen. »Aber wenn
Sie einen Grund haben, würde ich ihn gern erfahren.«
    »Ich brauche keinen Grund zu
haben«, sagte Margie Tallworth. Sie erwiderte Helens Blick länger, als die
meisten Studenten ihn erwidern konnten; dann stand sie auf, um zu gehen. Sie
war hübsch und klein und für eine Studentin ziemlich gut angezogen, dachte
Helen. Falls zwischen Michael Miltons früherer Freundin und seinem jetzigen
Geschmack irgendein Zusammenhang bestand, dann nur der, dass er anscheinend gut
angezogene Frauen mochte.
    »Also, es tut mir leid, dass Sie
nicht mehr dabei sind«, sagte Helen, der Wahrheit entsprechend, als Margie
ging; sie überlegte immer noch, was das Mädchen wirklich wissen mochte.
    Sie weiß es, dachte Helen und gab
sofort Michael die Schuld.
    [474]  »Du hast es bereits
verdorben«, erklärte sie ihm kühl, weil sie kühl mit ihm reden konnte – am Telefon. » Wie hast
du eigentlich mit Margie Tallworth Schluss gemacht?«
    »Sehr rücksichtsvoll«, sagte
Michael Milton blasiert. »Aber Schluss ist Schluss, egal, auf welche Art man es
macht.« Helen schätzte es nicht, wenn er sie zu belehren versuchte – außer im
Bett; dort überließ sie ihm die Führung, und er schien es nötig zu haben,
während es ihr nicht so wichtig war. Er war manchmal brutal, aber nie
gefährlich, dachte sie; und wenn sie sich entschlossen gegen etwas wehrte, ließ
er es. Einmal hatte sie ihm sagen müssen: »Nein! Ich mag das nicht, ich möchte
das

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