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Garp und wie er die Welt sah

Garp und wie er die Welt sah

Titel: Garp und wie er die Welt sah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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sie
wusste, so einfach würde er sie nicht davonkommen lassen.
    Er hatte das Geschirr fertig
gespült und setzte sich ihr gegenüber an den Tisch.
    Sie bemühte sich um ihr nettestes
Lächeln und sagte: »Ich möchte jetzt mit dir schlafen.«
    »Du magst sie nicht?«, fragte er.
    »Lass uns im Bett darüber reden«,
sagte sie.
    »Verdammt, Helen, seit langem
habe ich wieder etwas geschrieben. Da möchte ich doch wissen, was du davon
hältst.«
    Sie biss sich auf die Lippe und
nahm ihre Brille ab; sie hatte keine einzige Randbemerkung mit ihrem Rotstift gemacht.
»Ich liebe dich«, sagte sie.
    »Ja, ja«, sagte er ungeduldig.
»Ich liebe dich auch, aber ficken können wir
jederzeit. Was ist mit der Geschichte ?« Da wurde sie
plötzlich ganz entspannt; sie hatte das Gefühl, dass er sie freigegeben hatte.
Ich habe es immerhin versucht, dachte sie; sie fühlte
sich ungeheuer erleichtert.
    »Ich scheiß auf die Geschichte«,
sagte sie. »Ich mag sie nicht. Und ich möchte auch nicht darüber reden. Dir ist
es offenbar egal, was ich möchte. Du bist wie ein
kleiner Junge bei Tisch – du bedienst dich selbst zuerst.«
    »Du magst sie nicht?«, sagte
Garp.
    »Och, sie ist nicht schlecht «, sagte sie, »aber sie ist nicht Fisch, nicht
Fleisch. Sie ist eine Fingerübung und ein bisschen simpel. Wenn du dich damit
für etwas Größeres [461]  warmschreibst, dann sehe ich mir dieses Größere gern an –
wenn du dann so weit bist. Aber das hier ist nichts, und du weißt es auch. Es
ist einfach nur hingerotzt, stimmt’s? So etwas machst du doch mit links, oder?«
    »Sie ist doch lustig, oder?«, fragte Garp.
    »Oh, lustig ist sie schon«, sagte
sie. »Aber sie ist lustig, wie Witze lustig sind.
Nichts als Einzeiler. Ich meine, was soll das sein?
Eine Selbstparodie? Dafür bist du noch nicht alt genug, und du hast noch nicht
genug geschrieben, um dich über dich selbst zu mokieren. Es ist ichbezogen,
egoistisch; und es handelt in Wirklichkeit von nichts anderem als von dir
selbst. Aber an sich ist es ganz nett.«
    »Scheiße«, sagte Garp. »Ganz nett?«
    »Du redest dauernd von Leuten,
die gut schreiben, aber nichts zu sagen haben«, sagte Helen. »Schön, und was
ist das ? Eine zweite Pension
Grillparzer ist es bestimmt nicht. Es ist nicht ein Fünftel so gut wie Die Pension Grillparzer, noch nicht mal ein Zehntel «, sagte Helen.
    » Die Pension
Grillparzer ist die erste längere Erzählung, die ich geschrieben habe«,
sagte Garp. »Das hier ist etwas völlig anderes; es ist eine ganz andere
Textart.«
    »Ja, bei der einen geht es um
etwas, und bei der anderen geht es um nichts«, sagte Helen. »Bei der einen geht
es um Menschen, und bei der anderen geht es einzig und allein um dich. Die eine hat etwas Geheimnisvolles und Exaktheit, und die andere hat nur Witz.« Wenn Helens
analytische Fähigkeiten erst einmal in Stellung gebracht waren, gab es kein
Halten mehr.
    »Es ist unfair, diese beiden
Geschichten zu vergleichen«, sagte Garp. »Ich weiß, dass diese kleiner ist.«
    [462]  »Dann lass uns nicht mehr
darüber reden«, sagte Helen.
    Garp schwieg beleidigt.
    » Der Hahnrei
fängt sich hat dir auch nicht gefallen«, sagte er nach einer Weile, »und
ich nehme an, der nächste wird dir auch nicht gefallen.«
    » Welcher nächste? Schreibst du wieder an einem Roman?«
    Er schmollte noch ein bisschen.
Sie hasste ihn dafür, dass er sie zwang, ihm dies
anzutun, aber sie begehrte ihn, und sie wusste, dass sie ihn auch liebte.
    »Bitte«, sagte sie. »Lass uns ins
Bett gehen.«
    Jetzt aber sah er seine Chance für eine kleine Grausamkeit – und/oder eine kleine
Wahrheit –, und seine Augen blitzten sie an.
    »Lass uns kein Wort mehr sagen«,
bettelte sie. »Lass uns einfach ins Bett gehen.«
    »Deiner Meinung nach ist Die Pension Grillparzer das Beste, was ich geschrieben
habe, stimmt’s?«, fragte er sie. Er wusste schon, was sie über den zweiten
Roman dachte, und er wusste, dass trotz Helens Vorliebe für Zaudern ein erster Roman immer ein erster Roman ist. Ja, sie fand die Grillparzer -Geschichte wirklich seine bisher beste Arbeit.
    »Bis jetzt, ja«, sagte sie sanft.
»Du bist ein sehr guter Schriftsteller, du weißt, dass ich das glaube.«
    »Ich nehme an, ich bin meinen
Möglichkeiten nicht gerecht geworden«, sagte Garp bissig.
    »Das wirst du noch«, sagte sie;
das Mitgefühl und ihre Liebe zu ihm schwanden aus ihrer Stimme.
    Sie starrten einander an; Helen
wandte den Blick ab. Er ging langsam nach oben.

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