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Garp und wie er die Welt sah

Garp und wie er die Welt sah

Titel: Garp und wie er die Welt sah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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ankam.
    Das Foto war mit irgendeiner
glänzenden Schicht überzogen. Diese machte es – neben seiner Körnigkeit und dem
Umstand, dass der Unfall offenbar an einem regnerischen Abend passiert war – zu
einem Bild aus irgendeiner billigen Zeitung; es war
irgendein Unglück. Es war irgendein kleiner Tod, irgendwo, irgendwann. Aber es
erinnerte Garp [651]  natürlich nur an die graue Verzweiflung in all ihren
Gesichtern beim Anblick des zerschmettert daliegenden Walt.
    Der Umschlag von Bensenhaver und wie er die Welt sah, einer nicht
jugendfreien Geschichte fürs Nachmittagsfernsehen, schrie eine grausame Warnung
hinaus: Dies ist ein Katastrophenbericht. Der Umschlag zielte auf billige, aber
unmittelbare Aufmerksamkeit ab; er erregte sie. Der Umschlag versprach jähes,
quälendes Leid; Garp wusste, dass das Buch es liefern würde.
    Hätte er in diesem Augenblick
lesen können, was im Klappentext über seinen Roman und sein Leben stand, hätte
er womöglich gleich nach der Landung in Europa das nächste Flugzeug nach New
York zurück genommen. Aber er würde Zeit haben, sich mit dieser Art Werbung
abzufinden – genau, wie John Wolf es geplant hatte. Wenn Garp den Klappentext
las, würde er das scheußliche Titelfoto schon verdaut haben.
    Helen würde es nie verdauen, und
sie verzieh es John Wolf auch nie. Sie würde ihm auch nie das Foto von Garp auf
der Rückseite verzeihen. Es war ein mehrere Jahre vor dem Unglück aufgenommenes
Bild von Garp mit Duncan und Walt. Helen hatte das Bild gemacht, und Garp hatte
es John Wolf anstelle einer Weihnachtskarte geschickt. Garp hockte auf einem
Anleger in Maine. Er hatte eine Badehose an und sah körperlich topfit aus. Er
war es. Duncan stand hinter ihm, den mageren Arm auf der Schulter seines
Vaters; Duncan hatte auch eine Badehose an, er war braun gebrannt und trug eine
weiße Matrosenmütze keck auf dem Kopf. Er grinste in die Kamera, starrte sie
mit seinen schönen Augen in Grund und Boden.
    [652]  Walt saß auf Garps Schoß. Er
war gerade erst aus dem Wasser gekommen und noch glitschig wie ein junger
Seehund; Garp versuchte, ihn fürsorglich in ein Badetuch zu wickeln, und Walt
zappelte. Sein verschmitztes rundes Gesicht strahlte unbändig vor Glück die
Kamera an – seine Mutter, die das Bild aufnahm.
    Als Garp dieses Bild betrachtete,
fühlte er, wie Walts kühler, nasser Körper an seinem warm und trocken wurde.
    Die Bildunterschrift appellierte
an einen der weniger edlen menschlichen Instinkte.
    T.S. GARP MIT
SEINEN KINDERN
    (VOR DEM
UNGLÜCK)
    Das deutete indirekt darauf
hin, dass man beim Lesen des Buches herausfinden würde, um was für ein Unglück es sich handelte. Man würde es natürlich nicht
herausfinden. In Bensenhaver und wie er die Welt sah wurde nichts über dieses Unglück gesagt – auch wenn man fairerweise zugeben
musste, dass Unglücksfälle eine große Rolle in dem Roman spielen. Das Einzige,
was man über das Unglück, auf das in der Bildunterschrift angespielt wurde,
erfuhr, stand in der Schmonzette, die John Wolf für die Schutzumschlagklappen
verfasst hatte. Trotzdem hatte das Foto – von einem Vater mit seinen bedrohten
Kindern – etwas, das einen köderte.
    Die Leute kauften das Buch von
dem traurigen Sohn der Jenny Fields in Massen.
    Im Flugzeug nach Europa war Garps
Phantasie noch ganz mit dem Bild von dem Krankenwagen beschäftigt. [653]  Selbst in
jener Höhe konnte er sich vorstellen, dass die Leute das Buch in Massen
kauften. Er saß da und empfand Abscheu vor den Leuten, die er sich beim Kauf
des Buches vorstellte; außerdem empfand er Abscheu vor sich selbst, wenn er
daran dachte, dass er ein Buch geschrieben hatte, das massenhaft Leute anziehen
konnte.
    »Massen« waren T.S. Garp nie
geheuer, am wenigsten Massen von Leuten. Er saß im Flugzeug und wünschte sich
mehr Isolation und Privatsphäre – für sich und seine Familie –, als er je
wieder haben würde.
    »Was wollen wir mit dem ganzen
Geld machen?«, fragte Duncan ihn unvermittelt.
    »Welchem ganzen Geld?«, sagte
Garp.
    »Wenn du reich und berühmt bist«,
sagte Duncan. »Was wollen wir dann machen?«
    »Wir werden eine Menge Spaß
haben«, erklärte Garp ihm, aber das eine Auge seines hübschen Sohnes fixierte
ihn zweifelnd.
    »Wir erreichen jetzt unsere
Flughöhe von zehntausendfünfhundert Metern«, sagte der Pilot.
    »Wow«, sagte Duncan. Und Garp
wollte nach der Hand seiner Frau jenseits des Gangs greifen. Ein dicker Mann
kam auf dem Weg zur Toilette durch den

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