Garp und wie er die Welt sah
Schriftstellern, die auch er – in manchen Fällen – ehrlich
bewunderte, hoffte Garp nur, dass wenigstens einige dieser Leute im Augenblick
der Tat um den gewinnbringenden Aspekt ihrer unglücklichen Entscheidung gewusst
hatten. Er wusste sehr wohl, dass Leute, die sich tatsächlich umbrachten, den
Selbstmord [645] nicht im Geringsten verherrlichten; sie hatten keinen Respekt vor der »Ernsthaftigkeit«, die die Tat ihrem Werk
angeblich verlieh – ein ekelerregendes Phänomen in der Buchhandelsszene, fand
Garp. Bei Lesern und Rezensenten.
Garp wusste auch, dass er kein Selbstmörder war; kurz nach Walts Unfall wusste er
es nicht mehr ganz so genau, aber er wusste es. Selbstmord lag ihm ebenso fern
wie Vergewaltigung; er konnte sich nicht vorstellen, dass er es wirklich tat.
Aber er stellte sich gern den selbstmörderischen Schriftsteller vor, wie er
über sein erfolgreiches Unglück grinste, während er noch einmal die letzte
Mitteilung, die er hinterlassen würde, las und überarbeitete – eine
verzweifelte und angemessen humorlose Mitteilung. Voller Bitterkeit stellte sich
Garp gern jenen Augenblick vor: Wenn die Selbstmordmitteilung fertig war, nahm
der Schriftsteller die Pistole, das Gift oder Anlauf für den Sprung aus dem
Fenster – mit einem grässlichen Lachen und im Wissen darum, dass er den Lesern
und Rezensenten endlich ein Schnippchen schlagen würde. Eine der Mitteilungen,
die er sich vorstellte, lautete:
»Ich bin zum letzten Mal von Euch
Idioten missverstanden worden.«
»Was für eine krankhafte
Vorstellung«, sagte Helen.
»Der vollkommene
Schriftstellertod«, sagte Garp.
»Es ist spät«, sagte John Wolf.
»Denkt an euren Flug.«
Im Gästezimmer, wo John Wolf auf
der Stelle in Schlaf sinken wollte, fand er Duncan Garp noch hellwach.
»Na, Duncan, Reisefieber?«,
fragte er den Jungen.
»Mein Vater ist schon mal in
Europa gewesen«, sagte Duncan. »Aber ich noch nicht.«
[646] »Ich weiß«, sagte John Wolf.
»Wird mein Vater viel Geld
verdienen?«, fragte Duncan.
»Ich hoffe es«, sagte John Wolf.
»Wir brauchen es eigentlich gar
nicht, weil meine Großmutter so viel hat«, sagte Duncan.
»Aber es ist schön, wenn ihr euer
eigenes habt«, sagte John Wolf.
»Warum?«, fragte Duncan.
»Na ja, es ist schön, wenn man
berühmt ist«, sagte John Wolf.
»Glauben Sie, dass mein Vater
berühmt wird?«, fragte Duncan.
»Ja, das glaube ich«, sagte John Wolf.
»Meine Großmutter ist schon
berühmt«, sagte Duncan.
»Ich weiß«, sagte John Wolf.
»Ich glaube nicht, dass es ihr
gefällt«, sagte Duncan.
»Warum nicht?«, fragte John Wolf.
»Es sind immer zu viele Fremde
da«, sagte Duncan. »Das sagt Nana auch, ich habe es selbst gehört: ›Zu viele
Fremde in meinem Haus.‹«
»Aber dein Dad wird
wahrscheinlich auf eine etwas andere Art berühmt als deine Großmutter«, sagte
John Wolf.
»Wie viele verschiedene Arten
gibt es, berühmt zu sein?«, fragte Duncan.
John Wolf atmete lange und
beherrscht aus. Dann fing er an, Duncan Garp von den Unterschieden zwischen
Bestsellern und nur erfolgreichen Büchern zu erzählen. Er sprach über
politische Bücher und umstrittene Bücher und Werke der schönen Literatur. Er
sprach von den erhabenen Freuden des Bücherverlegens; er gab Duncan sogar einen [647] tieferen Einblick in seine persönlichen Ansichten über das Bücherverlegen,
als er Garp jemals gewährt hatte. Garp interessierte sich nicht wirklich dafür.
Duncan auch nicht. Duncan würde sich an keine einzige der erhabenen Freuden erinnern; er schlief ziemlich bald ein, nachdem John Wolf
zu erklären begonnen hatte.
Es war einfach John Wolfs
Tonfall, den Duncan mochte. Die lange Geschichte, die langsame Erklärung. Es
war die Stimme von Roberta Muldoon – von Jenny Fields, von seiner Mutter, von
Garp –, die ihm abends in dem Haus in Dog’s Head Harbor Geschichten erzählte
und ihn so tief einschlafen ließ, dass er keine Alpträume haben würde. Duncan
hatte sich an diesen Tonfall gewöhnt, und er hatte in New York nicht ohne ihn
einschlafen können.
Am nächsten Morgen amüsierten
sich Garp und Helen über John Wolfs Wandschrank. Es hing ein hübsches Nachthemd
darin, das zweifellos einer von John Wolfs neueren gepflegten Freundinnen
gehörte – einer, die nicht aufgefordert worden war,
über Nacht zu bleiben. Es hingen ungefähr dreißig dunkle Anzüge darin, alle mit
Nadelstreifen, alle ziemlich elegant und alle mit ungefähr acht Zentimeter zu
langen Hosenbeinen
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