Garp und wie er die Welt sah
kommt der Frühling
nicht«, sagte Garp.
»Der Frühling kommt sowieso nie
nach Vermont«, sagte Helen.
»Nein, nein«, sagte Garp
stirnrunzelnd. »In dem Jahr kommt auch der Sommer nicht.
Der Winter hört nicht auf. Eines Tages wird es wärmer, und die Knospen kommen
raus. Vielleicht im Mai. Eines Tages im Mai sind Knospen an den Bäumen, am
nächsten Tag Blätter, und am übernächsten Tag haben sich die Blätter alle
verfärbt. Es ist bereits Herbst. Die Blätter fallen von den Bäumen.«
»Eine schnelle Entblätterung«,
sagte Helen.
»Sehr witzig«, sagte Garp. »Aber
genau das passiert. Es ist wieder Winter; es wird für immer Winter sein.«
»Und die Menschen sterben?«,
fragte John Wolf.
Ȇber die Menschen bin ich mir
noch nicht im Klaren«, sagte Garp. »Manche verlassen natürlich Vermont.«
»Keine schlechte Idee«, sagte
Helen.
»Manche bleiben, manche sterben.
Vielleicht sterben alle«, sagte Garp.
»Was soll das bedeuten?«, fragte
John Wolf.
»Das weiß ich, wenn ich so weit
bin«, sagte Garp. Helen lachte.
»Und danach kommt ein dritter Roman?«, fragte John Wolf.
»Er heißt Das Komplott gegen den Riesen «,sagte Garp.
»Das ist ein Gedicht von Wallace
Stevens«, sagte Helen.
»Ja, natürlich«, sagte Garp, und
er sagte für die anderen das Gedicht auf.
[642] Das Komplott gegen den Riesen
Erstes Mädchen
Wenn dieser Tölpel faselnd kommt
Sein Hackebeilchen wetzend
Dann lauf vor ihm her
Mit den zivilsten Düften von Geranien,
von nie gerochenen Blumen.
Das wird ihn stoppen.
Zweites
Mädchen
Ich laufe vor ihm her
Und schwinge Tücher voller bunter Tupfen
So klein wie Rogen.
Die Fäden
Werden ihn verwirren.
Drittes Mädchen
Oh, la le pauvre!
Ich laufe vor ihm her
Und werde seltsam blasen.
Er wird sein Ohr mir leihen.
Und dann flüstre ich
Ihm himmlische Labiale in einer Welt der Gutturale.
Das wird ihn ruinieren.
[643] »Was für ein hübsches Gedicht«, sagte Helen. »Der Roman hat drei Teile«, sagte Garp.
»Erstes Mädchen, Zweites Mädchen,
Drittes Mädchen?«, fragte John Wolf.
»Und wird der Riese ruiniert?«, fragte Helen. »Wird er das je?«, sagte Garp.
»Ist es ein richtiger Riese, in
dem Roman?«, fragte John Wolf. »Ich weiß es noch nicht«, sagte Garp. »Bist du es?«, fragte Helen.
»Ich hoffe nicht«, sagte Garp.
»Ich hoffe auch, dass du es nicht
bist«, sagte Helen.
»Schreiben Sie den zuerst«, sagte
John Wolf.
»Nein, schreib ihn zuletzt«,
sagte Helen.
» Der Tod
Vermonts scheint mir der logische Abschluss zu sein«, sagte John Wolf.
»Nein, ich sehe Das Komplott gegen den Riesen als Letzten«, sagte Garp.
»Warte damit, und schreib ihn
erst, wenn ich tot bin«, sagte Helen.
Alle lachten.
»Aber das sind nur drei«, sagte
John Wolf. »Was dann? Was passiert nach den dreien?«
»Dann sterbe ich«, sagte Garp.
»Das macht zusammen sechs Romane, und das reicht.«
Wieder lachten alle.
»Und wissen Sie auch schon, wie Sie sterben?«, fragte ihn John Wolf.
»Schluss damit«, sagte Helen. Und
zu Garp sagte sie: »Wenn du jetzt sagst: ›In einem Flugzeug‹, verzeih ich dir
das nie.«
[644] Hinter dem beschwipsten Humor
in ihrer Stimme hörte John Wolf den Ernst heraus; er streckte die Beine von
sich.
»Ihr beide geht jetzt besser ins
Bett«, sagte er. »Und ruht euch aus für eure Reise.«
»Wollt ihr nicht wissen, wie ich
sterbe?«, fragte Garp. Sie sagten nichts.
»Ich bringe mich um«, sagte Garp
fröhlich. »Um voll etabliert zu sein, ist das anscheinend fast notwendig. Ich
meine es ernst, wirklich «, sagte Garp. »Ihr werdet
mir doch zustimmen, dass es zurzeit Mode ist, die Ernsthaftigkeit eines
Schriftstellers unter anderem daran zu bemessen? Da die Ernsthaftigkeit des
Schriftstellers nicht immer an seiner schriftstellerischen Kunst erkennbar
wird, muss er die Tiefe seiner persönlichen Pein manchmal mit anderen Mitteln
offenbaren. Wer sich umbringt, gibt zu verstehen, dass er es letzten Endes ernst
gemeint hat. Es ist wahr «, sagte Garp, aber sein
Sarkasmus war beißend, und Helen seufzte. John Wolf reckte sich wieder. »Und
danach«, sagte Garp, »wird plötzlich viel Ernsthaftigkeit in seinem Werk
entdeckt – wo sie vorher keiner wahrgenommen hat.«
Garp hatte oft gereizt bemerkt,
dies werde seine letzte Pflicht als Vater und Ernährer sein – und er wies gern
auf einige mittelmäßige Schriftsteller hin, die wegen ihres Selbstmords inzwischen verehrt und begierig gelesen wurden. Bei diesen
Selbstmorden von
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