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Garp und wie er die Welt sah

Garp und wie er die Welt sah

Titel: Garp und wie er die Welt sah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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helfen sollten, da die Lage der Armen dem Gouverneur von New
Hampshire eine verdiente Strafe zu sein schien – das gerechte und moralische
Urteil einer höheren Instanz. Der gegenwärtige Gouverneur war heimtückisch und
verschlagen und verbreitete überalldie Angst, New
Hampshire könnte von Banden geschiedener New
Yorkerinnen zersetzt werden.
    Ihm zufolge kamen geschiedene
Frauen aus New York in Massen nach New Hampshire. Ihre Absichten gingen dahin,
die Frauen von New Hampshire zu Lesbierinnen zu machen oder sie zumindest zur
Untreue gegenüber ihren Ehemännern anzustacheln; zu ihren Absichten gehörte
auch die Verführung der Ehemänner von New Hampshire und der Oberschüler von New
Hampshire. Diese geschiedenen New Yorkerinnen setzten sich angeblich für
allgemeine Promiskuität, Sozialismus, Unterhaltszahlungen ein und etwas, das
man in der Presse von New Hampshire bedeutungsvoll als »weibliches
Gruppenleben« bezeichnete.
    [660]  Eins der Zentren dieses
angeblichen »weiblichen Gruppenlebens« war natürlich Dog’s Head Harbor, »die
Höhle der radikalen Feministin Jenny Fields«.
    Auch Geschlechtskrankheiten –
»ein bekanntes Problem unter militanten Feministinnen« – hätten deutlich
zugenommen, sagte der Gouverneur. Er war ein grandioser Lügner. Als
Gegenkandidat gegen diesen beliebten Idioten bewarb sich offenbar eine Frau um
das Amt des Gouverneurs. Jenny und Roberta und (wie Jenny schrieb) »ganze
Banden geschiedener New Yorkerinnen« führten ihren Wahlkampf.
    Der Zufall wollte es, dass Garps
»degenerierter« Roman in der einzigen überregionalen Zeitung von New Hampshire
als »die neue Feministinnenbibel« bezeichnet wurde.
    »Eine ungestüme Hymne auf die
moralischen Verirrungen und sexuellen Gefahren unserer Epoche«, schrieb ein
Rezensent von der Westküste.
    »Ein qualvoller Protest gegen die
Gewalttätigkeit und den Geschlechterkampf unseres suchenden Zeitalters«, hieß
es in einer anderen Zeitung, die irgendwo anders erschien.
    Egal, ob lobend oder tadelnd
besprochen, der Roman wurde weithin als ein Ereignis betrachtet. Ein Weg, wie ein Roman erfolgreich werden kann, besteht darin, dass
die erfundene Handlung irgendjemandes Version eines realen Ereignisses gleicht.
Das passierte mit Bensenhaver und wie er die Welt sah: Wie der dumme Gouverneur von New Hampshire wurde auch Garps Buch ein Ereignis.
    »New Hampshire ist ein
hinterwäldlerischer Staat mit korrupten politischen Methoden«, schrieb Garp an
seine [661]  Mutter. »Um Himmels willen, lass dich da nicht hineinziehen.«
    »Das sagst du immer«, schrieb
Jenny. »Wenn du nach Hause kommst, wirst du berühmt sein. Dann möchte ich mal
sehen, wie du versuchst, dich in nichts hineinziehen
zu lassen.«
    »Pass einfach auf mich auf«,
schrieb Garp ihr. »Nichts leichter als das.«
    Die Beschäftigung mit
transatlantischer Post hatte Garp vorübergehend von dem Gefühl des
schrecklichen, tödlichen Sogs abgelenkt, aber jetzt sagte Helen, dass auch sie
die Anwesenheit der Bestie spüre.
    »Lass uns nach Hause fahren«,
sagte sie. »Wir haben eine schöne Zeit gehabt.«
    Sie bekamen ein Telegramm von
John Wolf. »Bleibt, wo ihr seid«, lautete es. »Die Leute kaufen das Buch in
Massen.«
    Roberta schickte Garp ein
T-Shirt.
    GESCHIEDENE NEW
YORKERINNEN
    SIND GUT FÜR
NEW HAMPSHIRE,
    stand darauf.
    »Mein Gott«, sagte Garp zu Helen.
»Wenn wir nach Hause wollen, lass uns wenigstens bis nach dieser
schwachsinnigen Wahl warten.«
    So verpasste er zum Glück die
»dissidente feministische Meinung« über Bensenhaver und wie
er die Welt sah, die in einem Boulevardblatt veröffentlicht wurde. Der
Roman, schrieb der Rezensent, »vertritt steif und fest die sexistische
Vorstellung, dass Frauen in der Hauptsache eine [662]  Ansammlung von Löchern und
die willkommene Beute männlicher Raubtiere sind… T.S. Garp schreibt den
ärgerlich männlichen Mythos fort: Der gute Mann ist der Leibwächter seiner
Familie, die gute Frau lässt niemals freiwillig einen anderen Mann zu ihrer
buchstäblichen oder metaphorischen Pforte herein.«
    Selbst Jenny Fields wurde
beschwatzt, den Roman ihres Sohns zu »rezensieren«, und zu seinem Glück bekam
Garp auch diese Kritik nie zu Gesicht. Jenny schrieb, zwar sei es der beste
Roman ihres Sohnes – weil es sein ernsthaftestes Thema sei –, aber es sei ein
Roman, »der dauernd durch männliche Obsessionen beeinträchtigt wird, die
weibliche Leser ermüden könnten«. Aber, sagte Jenny, ihr Sohn sei ein

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