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Garp und wie er die Welt sah

Garp und wie er die Welt sah

Titel: Garp und wie er die Welt sah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Jahren Vergangenheit. Wenn die Stadt damals, als er mit seiner Mutter
dort gewesen war, im Sterben gelegen hatte oder schon tot gewesen war, so hatte
Garp nun das Gefühl, dass an der Stelle jener alten Stadt etwas Neues, aber
Gewöhnliches gewachsen war.
    Dennoch machte es Garp Spaß,
Duncan und Helen herumzuführen. Er genoss die Rundgänge durch seine eigene
Geschichte, mit Abstechern in die Reiseführergeschichte Wiens. »Und hier hat
Hitler gestanden, als er zum ersten Mal zu den Wienern sprach. Und hier habe
ich immer samstags morgens eingekauft.
    Das hier ist der vierte Bezirk,
er gehörte zum russischen [657]  Sektor; hier ist die berühmte Karlskirche, und das
Obere und Untere Belvedere. Und zwischen der Prinz-Eugen-Straße, dort links,
und der Argentinierstraße liegt die winzige Straße, wo Mom und ich…«
    Sie mieteten sich in einer netten
Pension im vierten Bezirk ein. Sie sprachen davon, Duncan bei einer englischen
Schule anzumelden, aber es war eine lange Fahrt mit dem Auto oder mit der
Straßenbahn früh am Morgen, und sie hatten nicht wirklich die Absicht, auch nur
das geplante halbe Jahr zu bleiben. Insgeheim spielten sie mit dem Gedanken,
Weihnachten mit Jenny und Roberta und Ernie Holm in Dog’s Head Harbor zu
verbringen.
    John Wolf schickte endlich das
Buch, mit dem vollständigen Schutzumschlag, und der Sog, den Garp spürte, war
ein paar Tage lang unerträglich, dann zog er tiefer, unter die Oberfläche. Er
schien verschwunden. Garp brachte einen maßvollen Brief an seinen Verleger
zustande; er sei sehr verletzt, könne aber gleichzeitig auch verstehen, dass
all dies in bester Absicht geschehen sei, aus geschäftlichen Erwägungen.
Nichtsdestotrotz… etc. Konnte er es ihm – Wolf – denn ernstlich verübeln?
Schließlich hatte er ihm das Produkt geliefert; Wolf hatte es nur vermarktet.
    Garp hörte von seiner Mutter,
dass die ersten Besprechungen »nicht nett« seien, aber Jenny legte ihrem Brief – auf John Wolfs Anraten – keine Besprechungen bei. John Wolf suchte aus den
wichtigen New Yorker Rezensionen die erste Lobeshymne aus: »Endlich hat die
Frauenbewegung einen nachweislichen bedeutsamen Einfluss auf einen männlichen
Schriftsteller ausgeübt«, schrieb die Rezensentin, die irgendwo
außerordentliche Professorin für [658]  Frauenfragen war. Sie sagte weiter, Bensenhaver und wie er die Welt sah sei »die erste
gründliche Studie eines Mannes über den spezifisch männlichen neurotischen Druck, dem viele Frauen unterworfen werden«. Und
so fort.
    »Christus«, sagte Garp, »es
klingt, als hätte ich eine Doktorarbeit geschrieben. Es ist ein Scheiß roman, es ist eine Geschichte, und
ich habe sie erfunden!«
    »Nun, es klingt, als hätte sie
ihr gefallen «, sagte Helen.
    »Nicht sie hat ihr gefallen«, sagte Garp. »Ihr hat etwas anderes gefallen.«
    Aber die Rezension trug zu dem
Gerücht bei, dass Bensenhaver und wie er die Welt sah »ein feministischer Roman« sei.
    »Genau wie ich«, schrieb Jenny Fields
an ihren Sohn, »scheinst nun auch du von einem der vielen verbreiteten
Missverständnisse unserer Zeit zu profitieren.«
    Andere Besprechungen nannten das
Buch »paranoid, hirnrissig und überladen mit überflüssigen Gewalt- und
Sexszenen«. Garp bekam die meisten dieser Rezensionen nicht zu Gesicht, aber
sie beeinträchtigten den Verkauf wahrscheinlich auch nicht. Ein Rezensent
räumte ein, dass Garp ein seriöser Schriftsteller sei, dessen »Neigungen zu
barocker Übertreibung Amok gelaufen« seien. John Wolf konnte der Versuchung
nicht widerstehen, Garp diese Rezension zu schicken – wahrscheinlich, weil John
Wolf dem Rezensenten insgeheim recht gab.
    Jenny schrieb, dass sie immer
mehr in die Landespolitik von New Hampshire »hineingezogen« werde.
    »Die Gouverneurswahl von New
Hampshire nimmt unsere ganze Zeit in Anspruch«, schrieb Roberta Muldoon.
    [659]  »Wie kann irgendjemand dem
Gouverneur von New Hampshire seine ganze Zeit widmen?«, schrieb Garp zurück.
    Es ging da offenbar um ein
feministisches Anliegen und andererseits um Idiotien und Verbrechen, auf die
der gegenwärtige Gouverneur sogar noch stolz war. Seine Leute rühmten sich,
einer vergewaltigten Vierzehnjährigen die Abtreibung verweigert zu haben und
damit dem landesweiten Sittenverfall entgegengetreten zu sein. Der Gouverneur
war wirklich ein aufgeblasener, reaktionärer Trottel. Er schien unter anderem
der Meinung zu sein, dass der Bundesstaat oder die Bundesregierung den armen
Leuten nicht

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