Garp und wie er die Welt sah
genauso an
sie erinnern, wie ich mich an meine Zunge erinnere.
Garp war voller Bewunderung
dafür, wie das Mädchen das gute alte Semikolon gebrauchte. Er sagte sanft: »Ich
glaube, es ist besser, ihn nicht zu veröffentlichen, Ellen.«
Wirst Du
böse auf mich sein, wenn ich es trotzdem tue?,
fragte sie.
Er gab zu, dass er nicht böse
sein würde.
Und
Helen?
[747] »Helen wird nur böse auf mich sein«, sagte Garp.
»Du bringst die Leute zu sehr in
Zorn«, erklärte Helen ihm im Bett. »Du hetzt sie auf. Du infizierst sie . Du solltest abschalten. Du
solltest selbst arbeiten. Deine eigene Arbeit tun. Du hast früher immer gesagt,
Politik sei dumm, und sie bedeute dir nichts. Du hattest recht. Sie ist dumm, und sie bedeutet nichts. Du machst das alles
nur, weil es leichter ist, als sich hinzusetzen und
etwas Eigenes zu erfinden, aus dem Nichts heraus. Das weißt du selbst. Du
bastelst im ganzen Haus Bücherregale und bearbeitest die Fußböden und pfuschst
im Garten rum, du meine Güte.
Habe ich etwa einen Heimwerker
geheiratet? Habe ich je von dir erwartet, dass du Kreuzzüge führst?
Du solltest Bücher schreiben und
andere Leute Regale bauen lassen. Du weißt genau, dass ich recht habe, Garp.«
»Du hast recht«, sagte er.
Er versuchte, sich daran zu
erinnern, was ihn dazu befähigt hatte, sich den ersten Satz der Pension Grillparzer auszudenken.
»Mein Vater war für das
Österreichische Fremdenverkehrsamt tätig.«
Woher war er gekommen? Er versuchte,
sich ähnliche Sätze auszudenken. Was er zustande brachte, war ein Satz wie
dieser: »Der Junge war fünf Jahre alt; er hatte einen Husten, der seine kleine,
knochige Brust zu sprengen schien.«
Was er zustande brachte, waren
Erinnerungen, und das war Mist. Er hatte keine reine Phantasie mehr.
Im Ringerraum trainierte er drei
Tage hintereinander mit dem Schwergewicht. Um sich selbst zu strafen?
[748] »Du pfuschst sozusagen weiter
im Garten rum«, sagte Helen.
Dann verkündete er, er habe einen
Auftrag, eine Reise, die er für die Fields Foundation machen müsse. Nach North
Mountain, New Hampshire. Um festzustellen, ob ein Stipendium der Fields
Foundation für eine Frau namens Truckenmiller hinausgeworfenes Geld sein würde.
»Du pfuschst weiter im Garten
rum«, sagte Helen. »Noch mehr Regale. Noch mehr Kreuzzüge. So etwas machen
Leute, die nicht schreiben können. «
Aber er war schon fort; er war
schon aus dem Haus, als John Wolf anrief, um zu sagen, dass eine äußerst
bekannte, äußerst auflagenstarke Zeitschrift Warum ich keine
Ellen-Jamesianerin bin von Ellen James veröffentlichen werde.
John Wolfs Stimme hatte am
Telefon den kalten, unheimlich schnellen Zungenschlag des alten Ihr-wisst-schon – der Sog, das ist es, dachte Helen. Aber sie wusste nicht, warum; noch nicht.
Sie berichtete Ellen James die
Neuigkeit. Helen verzieh Ellen sofort und gestattete sich sogar, zusammen mit
ihr aufgeregt zu sein. Sie fuhren mit Duncan und der kleinen Jenny an den
Strand. Sie kauften Hummer – Ellens Lieblingsessen – und reichlich Muscheln für
Garp, der nicht scharf auf Hummer war.
Champagner!,
schrieb Ellen im Auto.
Passt
Champagner zu Hummer und Muscheln?
[749] »Natürlich«, sagte Helen. »Manchmal.« Sie kauften Champagner. Sie fuhren in Dog’s
Head Harbor vor, um Roberta zum Essen einzuladen.
»Wann kommt Dad zurück?«, fragte
Duncan.
»Ich weiß nicht, wo North
Mountain, New Hampshire, ist «,sagte
Helen, »aber er hat gesagt, er würde rechtzeitig zum
Essen zurückkommen.«
Das hat
er mir auch gesagt,
schrieb Ellen James.
NANETTES
SCHÖNHEITSSALON in North Mountain, New Hampshire, war in
Wirklichkeit die Küche von Mrs. Kenny Truckenmiller, die mit Vornamen Harriet
hieß.
»Sind Sie Nanette?«, fragte Garp
sie schüchtern von den Eingangsstufen aus, die so mit Streusalz überzogen
waren, dass der tauende Schneematsch knirschte.
»Nanette gibt’s hier nicht«,
erklärte sie ihm. »Ich bin Harriet Truckenmiller.« Hinter ihr, in der dunklen
Küche, lauerte sprungbereit ein großer knurrender Hund; Mrs. Truckenmiller
hinderte den Hund daran, Garp anzuspringen, indem sie ihre lange Hüfte nach
hinten gegen das angriffslustige Viech stemmte. Ihr bleicher, narbiger Knöchel
keilte die Küchentür auf. Ihre Pantöffelchen waren blau; in dem langen
Morgenmantel ging ihre Figur unter, aber Garp konnte sehen, dass sie groß
gewachsen war – und frisch gebadet.
»Äm, schneiden Sie auch Männern
die Haare?«, fragte er
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