Garp und wie er die Welt sah
sie.
[750] »Nein«, sagte sie.
»Aber würden Sie es tun?«, fragte Garp sie. »Ich habe kein Vertrauen zu Friseuren.«
Harriet Truckenmiller warf einen
misstrauischen Blick auf Garps schwarze gestrickte Skimütze, die über die Ohren
hinuntergezogen war und mit Ausnahme der dichten Büschel, die ihm in seinem
kurzen Nacken bis auf die Schultern fielen, sein ganzes Haar bedeckte.
»Ich kann Ihre Haare nicht
sehen«, sagte sie. Er zog sich die Zipfelmütze vom Kopf, und seine Haare
sträubten sich vor elektrischer Ladung und wurden vom kalten Wind zersaust.
»Ich möchte sie nicht bloß
schneiden lassen«, sagte Garp neutral und musterte das traurige, abgespannte
Gesicht der Frau und die zarten Krähenfüße unter ihren grauen Augen. Sie hatte
Lockenwickler in den Haaren, die von einem verwaschenen Blond waren.
»Sie sind aber nicht angemeldet«,
sagte Harriet Truckenmiller.
Die Frau war keine Prostituierte,
das konnte Garp ganz klar sehen. Sie war erschöpft und hatte Angst vor ihm.
»Wie wollen Sie Ihr Haar denn
haben?«, fragte sie ihn.
»Kürzer«, murmelte Garp, »aber
irgendwie mit einer Welle.«
»Mit einer Welle?«, sagte Harriet
Truckenmiller und versuchte, sich Garps glatte Haarmähne so vorzustellen. »Sie
meinen, wie eine Dauerwelle?«, fragte sie.
»Na ja«, sagte er und fuhr sich
einfältig mit der Hand durch die zerzausten Strähnen. »Wie Sie es machen,
überlasse ich ganz Ihnen, verstehen Sie?«
[751] Harriet Truckenmiller zuckte
die Achseln. »Ich muss mich erst anziehen«, sagte sie. Der Hund, verschlagen
und kraftvoll, zwängte den massigen Rumpf zwischen ihre Beine und steckte
zähnefletschend den Kopf in die Öffnung zwischen Windfang und Haustür. Garp
ging in Verteidigungsstellung, aber Harriet Truckenmiller riss abrupt ihr
großes Knie hoch und brachte das Tier mit einem Hieb gegen die Schnauze aus dem
Gleichgewicht. Sie griff in das lose Nackenfell; jaulend verzog sich der Hund
hinter ihr in die Küche.
Der gefrorene Hof, sah Garp, war
ein Mosaik aus großen gefrorenen Hundehaufen. Außerdem standen dort drei Autos;
Garp bezweifelte, dass eines von ihnen noch fuhr. Holzscheite lagen herum, aber
niemand hatte sie gestapelt. Eine Fernsehantenne, die vielleicht einmal auf dem
Dach befestigt gewesen war, lehnte an der beigen Aluminiumverkleidung des
Hauses, und ihre Kabel kamen spinnwebartig aus einer geborstenen
Fensterscheibe.
Mrs. Truckenmiller trat einen
Schritt zurück und ließ Garp eintreten. In der Küche fühlte er, wie seine Augen
von der Hitze des Holzofens austrockneten; der Raum roch nach Keksebacken und
gespülten Haaren – die Küche schien übrigens zwischen den Funktionen einer
Küche und den Bedürfnissen von Harriets Gewerbe aufgeteilt zu sein. Ein rosa
Waschbecken mit einer Shampootube; Dosen mit gedünsteten Tomaten; ein
dreiteiliger Spiegel, gerahmt von Neonröhren; ein Holzregal mit Kräutern und
Fleischgewürzen; ein Stahlsessel, über dem eine Trockenhaube an einer stählernen
Stange hing – wie der Originalentwurf eines elektrischen Stuhls.
[752] Der Hund war fort, und Harriet
Truckenmiller ebenfalls; sie war hinausgeschlurft, um sich anzuziehen, und ihr
unwirscher Begleiter schien ihr Gesellschaft zu leisten. Garp kämmte sich; er
sah in den Spiegel, als versuchte er, sich an sich selbst zu erinnern. Gleich
würde er verändert und für alle unkenntlich gemacht werden, stellte er sich
vor.
Dann ging die Haustür auf, und
ein großer Mann mit Jagdmantel und roter Jägermütze kam herein; er hatte eine
riesige Ladung Holz auf den Armen und brachte sie zu der Holzkiste neben dem
Ofen. Der Hund, der in Wirklichkeit die ganze Zeit unter dem Waschbecken
gehockt hatte – nur Zentimeter von Garps zitternden Knien entfernt –, regte
sich sofort, um den Mann abzufangen. Aber dann kuschte er und knurrte nicht
einmal; der Mann war hier bekannt.
»Platz, du dummes Vieh«, sagte
er, und der Hund gehorchte.
»Bist du’s, Dickie?«, rief
Harriet Truckenmiller aus irgendeinem anderen Teil des Hauses.
»Wer soll’s denn sonst sein?«,
rief er; dann drehte er sich um und sah Garp vor dem Spiegel.
»Hallo«, sagte Garp. Der große
Mann, der Dickie hieß, starrte ihn an. Er war etwa fünfzig; sein riesiges
Gesicht wirkte wie von Eis abgeschabt, und da Garp mit Duncans Mimik vertraut
war, erkannte er sofort, dass der Mann ein Glasauge hatte.
»’lo«, sagte Dickie.
»Ich hab einen Kunden!«, rief
Harriet.
»Das seh ich«, sagte Dickie. Garp
fasste
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