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Garp und wie er die Welt sah

Garp und wie er die Welt sah

Titel: Garp und wie er die Welt sah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Stirn.
    Das Erdgeschoss des Hauses in
Dog’s Head Harbor war am weitläufigsten und enthielt zwei Küchen und vier
komplette Badezimmer; bis zu zwölf Personen konnten, jeder für sich und
ungestört, im Erdgeschoss schlafen, und [738]  außerdem gab es dort noch die
verschiedenen Besprechungszimmer, wie Roberta sie jetzt nannte – zu Jenny
Fields’ Zeiten waren es Empfangsräume und riesige, gemütliche Wohnzimmer
gewesen. Und ein großes Speisezimmer, wo man aß, sich seine Briefe abholte und
rund um die Uhr Gesellschaft fand.
    Es war die geselligste Etage in
Dog’s Head Harbor und eignete sich normalerweise nicht für die
Schriftstellerinnen und Künstlerinnen. Es war das beste Geschoss für die
Selbstmordkandidatinnen, hatte Garp dem Beirat erklärt, »weil sie gezwungen
sein werden, sich im Meer zu ertränken, statt aus dem Fenster zu springen«.
    Aber Roberta führte das Haus
entschlossen, mütterlich, nach Art eines Linksaußen; sie konnte fast allen
alles ausreden, und wenn sie es nicht konnte, war sie immer noch stärker als
alle. Sie hatte es besser geschafft, die Polizei im Ort zu ihrem Verbündeten zu
machen, als Jenny das je gelungen war. Gelegentlich las die Polizei Bekümmerte
auf, die weit unten am Strand standen oder auf den Holzstegen im Dorf
jammerten; sie wurden ausnahmslos, mit Samthandschuhen, zu Roberta
zurückgeschafft. Die Polizisten von Dog’s Head Harbor waren alle Football-Fans,
voller Respekt für das ungestüme Linienspiel und die tückischen Abblockmanöver
des ehemaligen Robert Muldoon.
    »Ich würde gern den Antrag
stellen, dass Ellen-Jamesianerinnen nicht mehr als Empfängerinnen von Geld oder
Annehmlichkeiten der Fields Foundation in Frage kommen«, sagte Garp.
    »Ich bin dafür«, sagte Marcia
Fox.
    »Das erfordert eine Aussprache«,
sagte Roberta, an alle [739]  gewandt. »Ich sehe keine Notwendigkeit, eine solche
Regel aufzustellen. Es liegt nicht an uns, eine Bewegung zu unterstützen, die
wir alle für eine mehr oder weniger unsinnige Form der politischen
Willensäußerung halten, aber das bedeutet nicht, dass nicht eine dieser
zungenlosen Frauen tatsächlich Hilfe brauchen könnte – ich würde sogar sagen,
dass sie bereits ein entschiedenes Bedürfnis gezeigt haben, zu sich selbst zu
finden, und wir können damit rechnen, auch weiterhin von ihnen zu hören. Sie
sind wirklich hilfsbedürftig.«
    »Sie sind geisteskrank«, sagte
Garp.
    »Das sollte man nicht
verallgemeinern«, sagte Hilma Bloch.
    »Es gibt genug produktive
Frauen«, sagte Marcia Fox, »die nicht auf ihre Stimme
verzichtet haben – sie kämpfen sogar darum, ihre Stimme zu benutzen  –, und ich bin nicht dafür, Dummheit und selbstauferlegtes
Schweigen noch zu belohnen.«
    »Schweigen hat auch einiges für
sich«, argumentierte Roberta.
    »Meine Güte, Roberta«, sagte
Garp. Und dann sah er ein Licht in diesem dunklen Thema. Die
Ellen-Jamesianerinnen machten ihn sogar noch zorniger als sein Bild der Kenny
Truckenmillers dieser Welt; und obwohl er sah, dass die Ellen-Jamesianerinnen
aus der Mode kamen, konnten sie ihm nicht schnell genug aus der Mode kommen. Er
wollte, dass sie verschwanden; mehr als das, er wollte, dass sie in Ungnade
fielen. Helen hatte ihm bereits erklärt, dass sein Hass auf sie in keinem
Verhältnis zu ihrer Bedeutung stand.
    »Es ist einfach verrückt und naiv – was sie getan haben«, [740]  sagte Helen. »Warum kannst du sie nicht ignorieren
und in Ruhe lassen?«
    Aber Garp sagte: »Wir wollen
Ellen James fragen. Das ist doch fair, oder? Wir wollen Ellen James nach ihrer Meinung über die Ellen-Jamesianerinnen fragen. Du
lieber Himmel, ich würde ihre Meinung über sie gern veröffentlichen. Wisst ihr, wie sie sich
ihretwegen vorkommt?«
    »Das ist eine zu persönliche
Angelegenheit«, sagte Hilma Bloch. Sie alle hatten Ellen James kennengelernt;
sie wussten alle, dass Ellen James es hasste, zungenlos zu sein, und dass sie die Ellen-Jamesianerinnen hasste.
    »Wir sollten die Sache ein wenig
ruhen lassen«, sagte John Wolf. »Ich beantrage, dass wir den Antrag vertagen.«
    »Verdammt«, sagte Garp.
    »Also gut, Garp«, sagte Roberta.
»Stimmen wir sofort darüber ab.« Sie wussten alle, dass sie ihn ablehnen
würden. Dann wäre die Sache erledigt.
    »Ich ziehe den Antrag zurück«,
sagte Garp giftig. »Lang leben die Ellen-Jamesianerinnen.«
    Aber er zog sich nicht zurück.
    Der Wahnsinn hatte seine Mutter
Jenny Fields getötet. Extremismus. Selbstgerechtes, fanatisches und

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