Garp und wie er die Welt sah
erkennen, dass sie mindestens so
alt wie seine Mutter war. Vielleicht sogar älter. »Ein Geschenk«, sagte sie zu
Garp über den Muff. »Ich habe ihn mit dem Mantel bekommen.« Beides war aus
einem silbrig blonden, sehr glatten Pelz.
»Beides echt«, sagte die Junge,
die Englisch konnte. Offenbar bewunderte sie alles an der älteren
Prostituierten.
»Sie können natürlich fast
überall einen bekommen, wenn auch vielleicht nicht ganz so wertvoll«, meinte
die Frau mit der Pockennarbe. »Gehen Sie zu Stef«, sagte sie in einem komischen
Tonfall, so dass Garp sie kaum verstehen konnte, und zeigte die Kärntner Straße
hinauf. Aber Jenny sah nicht hin, und Garp nickte nur und fuhr fort, die langen [186] bloßen, von Ringen blitzenden Finger der älteren Frau zu betrachten.
»Ich hab ganz kalte Hände«, sagte
sie freundlich zu Garp, und Garp nahm Jenny den Muff ab und gab ihn der Hure
zurück. Jenny war wie benommen.
»Lass uns mit ihr sprechen«,
sagte Jenny zu Garp. »Ich möchte sie danach fragen.«
» Wonach, Mom?«, sagte Garp. »Herr im Himmel!«
»Worüber wir beide gerade
gesprochen haben«, sagte Jenny. »Ich möchte sie über die Wollust befragen.«
Die beiden älteren Huren sahen
das Mädchen an, das Englisch konnte, aber sie konnte nicht gut genug Englisch,
um etwas aufzuschnappen.
»Es ist kalt, Mom«, schimpfte
Garp. »Und es ist spät. Lass uns heimgehen.«
»Sag ihr, wir gehen irgendwohin,
wo es warm ist, und reden ein bisschen miteinander«, sagte Jenny. »Sie wird uns
dafür zahlen lassen, nicht wahr?«
»Ich glaube, ja«, stöhnte Garp.
»Mom, sie hat keine Ahnung von Lust. Sie empfinden vermutlich nicht viel
Derartiges.«
»Ich möchte etwas über die Lust
der Männer wissen«, sagte Jenny. »Über deine Lust. Darüber muss sie
etwas wissen.«
»Um Himmels willen, Mom!«, sagte
Garp.
»Was ist?«, fragte ihn die schöne
Prostituierte. »Was habt ihr?«, fragte sie. »Was ist los – will sie den Muff
kaufen?«
»Nein, nein«, sagte Garp. »Sie
will Sie kaufen.«
Die ältere Hure war sprachlos;
die Hure mit der Pockennarbe lachte.
[187] »Nein, nein«, erklärte Garp.
»Nur um zu reden. Meine Mutter möchte Ihnen bloß ein
paar Fragen stellen.«
»Es ist kalt«, meinte die Hure
und sah ihn misstrauisch an.
»Vielleicht irgendwo drinnen?«,
schlug Garp vor. »Wo Sie wollen.«
»Frag sie, was sie haben will«,
sagte Jenny.
»Wie viel
kostet es?«, murmelte Garp.
»Es kostet fünfhundert
Schilling«, sagte die Hure, »üblicherweise.« Garp musste Jenny erläutern, dass
das umgerechnet ungefähr zwanzig Dollar waren. Jenny Fields sollte noch über
ein Jahr in Österreich leben, ohne auch nur die deutschen Zahlen zu lernen oder
sich mit der österreichischen Währung auszukennen.
»Zwanzig Dollar, nur um zu
reden?«, fragte Jenny.
»Nein, nein, Mom«, sagte Garp,
»das ist für das Übliche. «
Jenny überlegte. Waren zwanzig
Dollar eine Menge Geld für das Übliche? Sie wusste es nicht.
»Sag ihr, wir geben ihr zehn«,
sagte Jenny. Aber die Hure blickte sie skeptisch an – als ob Reden ihr schwerer
fiele als das »Übliche«. Ihre Unentschlossenheit hing allerdings nicht nur mit
dem Geld zusammen; sie traute Garp und Jenny nicht. Sie fragte die junge Hure,
die Englisch sprach, ob die beiden Engländer oder Amerikaner seien. Amerikaner,
erfuhr sie und schien ein wenig erleichtert.
»Die Engländer sind oft pervers«,
teilte sie Garp schlicht mit. »Amerikaner sind meist ganz normal.«
»Wir möchten nur mit Ihnen
reden«, erklärte Garp geduldig, aber er sah, dass die Prostituierte sich
beharrlich [188] irgendeine monströse Mutter-und-Sohn-Nummer vorstellte.
»Zweihundertfünfzig Schilling«,
stimmte die Dame mit dem Nerzmuff schließlich zu. »Und Sie bezahlen meinen
Kaffee.«
Daraufhin gingen sie zu dem
Lokal, wo alle Huren hingingen, um sich aufzuwärmen, eine winzige Bar mit
Miniaturtischen; das Telefon klingelte die ganze Zeit, aber nur wenige Männer
lungerten mürrisch an der Garderobe herum und begutachteten die Frauen. Es war
so etwas wie ein ungeschriebenes Gesetz, dass man die Frauen hier in dieser Bar
nicht ansprechen durfte; sie war eine Art Heimathafen, eine neutrale Zone.
»Frag sie, wie alt sie ist«, sagte
Jenny zu Garp; doch als er sie fragte, schloss die Frau sanft die Augen und
schüttelte den Kopf. »Okay«, sagte Jenny, »frag sie, warum sie denkt, dass die
Männer sie mögen.« Garp verdrehte die Augen. »Nun, magst du sie?«, fragte Jenny ihn.
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