Garten des Lebens
wusste ich, dass jemand hier gewesen war.”
“War das nicht der Abend, an dem du herausgefunden hast, dass Chrissie da ist?”
“Ja, aber trotzdem glaube ich, dass mehr dahintersteckt. Sicher, Chrissie war da – doch ich habe gespürt, dass noch jemand anders im Haus gewesen war. Und ich bin mir sicher, dass es kein Einzelfall war. Es ist mehrfach geschehen – vielleicht sogar heute. An diesem Nachmittag fiel mir auf, dass einige Papiere und Unterlagen meines Vaters fehlen. Ich hatte gerade erst begonnen, seine Akten zu sortieren, und hatte einige Sachen auf seinem Schreibtisch liegen lassen. Und jetzt fehlen diese Akten. Sie sind einfach verschwunden.”
“Bist du sicher, dass du die Papiere nicht weggeworfen hast?”
“Ganz sicher. Ich weiß, dass ich die Akten liegen ließ, und nun sind sie weg.”
“Ich glaube dir.”
Ihre Freundin schwieg. “Und was beschäftigt
dich
im Moment?”, fragte Susannah.
Carolyns Blick traf den ihren, und sie errötete.
“Carolyn?”
Sie errötete noch ein bisschen mehr, antwortete jedoch nicht.
“Erzähle es mir.”
Schließlich sagte sie: “Es gibt da diesen Mann …”
Susannah hätte wissen müssen, dass es um einen Mann ging. “Welcher Mann?”
“Es ist mir unangenehm, darüber zu reden. Sein Name ist Dave. Er arbeitet für
Kettle Falls Landscaping
und kümmert sich um meinen Garten und um die Anlagen beim Sägewerk. Er geht mir ständig durch den Kopf. Bei der Arbeit erwische ich mich dabei, wie ich aus dem Fenster starre und hoffe, ihn zu sehen.”
“Und wo ist das Problem? Ist er verheiratet?”
Sie schüttelte den Kopf. “Nein, er hat mir erzählt, dass er nie verheiratet war. Ich denke … Ich denke, er hat vielleicht eine kriminelle Vergangenheit.”
“Es gibt sicher Wege, das herauszufinden.”
“Ich habe bereits im Internet recherchiert”, erwiderte Carolyn und errötete wieder. “Ich konnte nichts finden.”
“Glaubst du, er benutzt einen falschen Namen?”
“Ich weiß nicht.” Sie rutschte auf ihrem Sitz herum und wirkte unsicher.
“Und wie kommst du darauf, dass er im Gefängnis gewesen sein könnte?”, fragte Susannah behutsam.
“Na ja, er ist so introvertiert und außerdem einfach zu hübsch, um niemals verheiratet gewesen zu sein und keine Familie zu haben.”
Susannah musste lächeln, als Carolyn das Wort “hübsch” benutzte. Normalerweise war dieser Begriff im Zusammenhang mit Männern eher untypisch, aber Carolyn gebrauchte ihn.
“Gestern Nachmittag, als er mein Haus verließ, habe ich bemerkt, dass er mich beobachtet – er wusste nicht, dass ich ihn sehen konnte. So lächerlich es klingen mag: Ich war wirklich glücklich und irgendwie aufgeregt, weil ich wusste, dass er in dem Moment an mich dachte. Ich bin mir nicht sicher, ob es tatsächlich so war, doch auf jeden Fall fühlte ich es so.” Sie legte eine Hand an ihren Mund. “Ich bin zu alt, um solche Gefühle zu haben.”
“Solange du atmest, bist du nicht zu alt. Es ist wunderbar, dass du einen Mann getroffen hast, der es schafft, dass du dich so lebendig fühlst.”
“Das ist nicht alles, was er in mir auslöst.” Ihre Wangen waren rosig. Sie seufzte. “Aber es ist keine gute Idee, mich mit ihm einzulassen.”
“Warum nicht?”, protestierte Susannah. Sie kannte Carolyn, und ihre Freundin verschenkte ihr Herz nicht leichtfertig. “Du verdienst es, glücklich zu sein. Es ist schwierig genug, sein Glück zu finden – da muss man sich selbst nicht noch Steine in den Weg legen.”
Trotzdem wirkte Carolyn unsicher. “Ich weiß nicht, was ich tun soll.”
Susannah konnte das Dilemma verstehen, in dem sich Carolyn befand. “Wieso solltest du etwas tun? Lass es doch einfach geschehen.”
Nach einem kurzen Moment erschien ein Lächeln auf Carolyns Gesicht. “Vielleicht mache ich das”, flüsterte sie. “Vielleicht mache ich das.”
17. KAPITEL
A m Sonntagmorgen besuchten Susannah, Chrissie und Vivian den Gottesdienst in der
Colville Christian Church
, in die Susannah schon in ihrer Kindheit gegangen war. Viele Leute begrüßten Susannah und Chrissie und umarmten Vivian.
Während der Predigt hatte Vivian ihre Bibel auf dem Schoß liegen. Sie schien den Worten intensiv zu folgen und fuhr mit dem Finger an den Textzeilen des Johannesevangeliums entlang. Pfarrer Nichols predigte zwar aus dem Jakobusbrief, aber Susannah hatte nicht den Mut, Vivian das zu sagen.
Chrissie rutschte während des gesamten Gottesdienstes unruhig hin und her. Kaum
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