Garten des Lebens
Jetzt war der richtige Zeitpunkt, um den Schreibtisch aufzuräumen. Sie ließ sich auf den Sessel sinken, in dem ihr Vater immer gesessen hatte, um Rechnungen zu bearbeiten. Susannah öffnete die oberste Schublade und nahm den ersten Ordner heraus, um ihn durchzusehen. Er enthielt alphabetisch sortierte Unterlagen aus verschiedenen Bereichen, für die regelmäßig Kosten anfielen. Sie legte ihn beiseite und griff nach dem nächsten. In ihm fand Susannah alle Bankunterlagen, auch die Abrechnungen für die Hypothek.
Das Haus war längst abbezahlt, doch jede Abrechnung war fein säuberlich abgeheftet und konnte noch immer leicht gefunden werden, falls irgendjemand sich eines Tages danach erkundigen sollte. Sie wusste nicht, wo er die annullierten Schecks der letzten vierzig Jahre aufbewahrte, wusste jedoch, dass sie ohne Zweifel früher oder später darauf stoßen würde. Als sie sie tatsächlich fand, waren sie nach Tag, Monat und Jahr sortiert.
Sie vermutete, dass es etwa zwei Stunden dauern würde, den Schreibtisch zu entrümpeln und machte sich an die Arbeit. Sie durchsuchte jede einzelne Akte. Es gab keinen Grund, alles aufzubewahren. Das meiste kam in den Aktenvernichter, den Susannah und Joe George einige Jahre zuvor zu Weihnachten geschenkt hatten.
Als sie den letzten Ordner aus der obersten Schublade nahm und durchblätterte, stutzte sie. Zahlungen an die
Colville Natural
Gaswerke waren vermerkt.
Das war ungewöhnlich, denn das Haus ihrer Eltern wurde nicht mit Gas beheizt.
Sie ahnte, dass sie nicht mögen würde, was sie fand – und dennoch sah sie sich den Inhalt der Akten näher an. Das erste Blatt schien ein Brief zu sein, datiert auf den Januar 1973. Susannahs Blick fiel auf den unteren Teil der Seite. Sie rang nach Luft.
Schnell überflog sie den Text, und der Zorn drohte sie zu überwältigen, als ihr klar wurde, was dort stand. Sie sprang auf.
Ihr Vater hatte Allan Presley Geld gezahlt, damit er den Staat Washington verließ – gemeinsam mit Jake. Für einen Betrag von fünftausend Dollar hatte Mr. Presley zugestimmt, fortzugehen und mindestens fünfhundert Meilen von Colville entfernt seine Zelte wieder aufzuschlagen. Allan Presley hatte das Geld genommen und damit nicht nur versprochen, Colville den Rücken zu kehren, sondern auch, nie wieder zurückzukommen.
Obgleich sie den Beweis in der Hand hielt, konnte Susannah nicht glauben, dass ihr eigener Vater sie so betrogen hatte. Sie wusste, dass Jakes Vater Geld gebraucht hatte. So jung sie damals auch gewesen sein mochte, die Geldsorgen von Jakes Vater und die Sorgen, die Jake sich um ihn machte, waren ihr nicht verborgen geblieben. Und ihr Vater, der ebenfalls wusste, dass Allan von der Hand in den Mund lebte und eine Schwäche für Alkohol hatte, hatte ihm Geld geboten. Er bezahlte die Presleys, damit Jake aus Susannahs Leben verschwand. Sein Vater hatte sich dieser Erpressung gebeugt – denn genau das war es –, und Jake hatte seinem Vater gehorcht. Obwohl er sie liebte – und das glaubte Susannah –, war er gegangen.
Susannah zerknüllte das Blatt Papier in ihrer Faust und versuchte, ihre Gefühle in den Griff zu bekommen. Sie hatte es gewusst. Ein Teil von ihr hatte immer gewusst, dass so etwas vorgefallen sein musste. Ihr Vater hatte mit aller Kraft versucht, Jake aus ihrem Leben zu verbannen – nicht nur, dass er sie nach Europa geschickt hatte. Er hatte viel Geld gezahlt, um das Leben von Allan Presley, von Jake und seiner eigenen Tochter zu manipulieren. Es war unerträglich. Nein, mehr als das – es war falsch.
Susannah konnte diese Wahrheit keine Sekunde länger für sich behalten. Sie schnappte sich ihre Tasche, in die sie den unterschriebenen Vertrag gesteckt hatte, und rannte aus dem Haus.
Ihr Zorn war ein wenig verdampft, doch ihr Magen rebellierte noch immer, als sie einen Parkplatz vor dem
Altamira
suchte. Sie hoffte, dass ihre Mutter sich ausgeruht hatte, denn Susannah brauchte Antworten – und zwar jetzt. Dieser Brief war nicht das Einzige, was sie entdeckt hatte. Außerdem hatte es ein paar seltsame Bewegungen auf dem Konto ihres Vaters gegeben.
Zu ihrer Überraschung stand Vivians Tür offen, als sie eintraf. Sie ging in das kleine Apartment und sah eine Frau, die gerade ihre Mutter besuchte.
“Susannah”, sagte Vivian, und ein Lächeln ließ ihre Augen erstrahlen. “Schau doch, wer gekommen ist, um mich zu besuchen.”
“Hallo”, sagte Susannah und trat näher. Wer auch immer diese Frau war, Susannah
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