Garten des Lebens
befreundet gewesen. Die temperamentvolle Sharon genoss als Teenager einen äußerst fragwürdigen Ruf. Schon mit dreizehn gab sie damit an, einen Zwanzigjährigen zu treffen. Im Vergleich dazu war Susannahs Jugend absolut unschuldig und behütet verlaufen. Sharons Eltern waren geschieden – was in jener Zeit eine Seltenheit war. Ihre Mutter hatte als Barfrau gearbeitet, und nun war Sharon in ihre Fußstapfen getreten.
Susannah seufzte. Sie war enttäuscht, dass Chrissie von Troy so fasziniert war. “Ich dachte eigentlich, dass ein Treffen mit Troy Chrissie die Augen öffnen und ihr zeigen würde, dass Troy nicht gerade ein Hauptgewinn ist.”
“Also ist sie gestern Abend mit ihm ausgegangen?”
Susannah nickte und trank einen Schluck Wein. “Sie war früh zu Hause, vor Mitternacht, und behauptete, einen wundervollen Abend gehabt zu haben – das waren ihre Worte. Aber ich glaube, das hätte sie auch gesagt, wenn es nicht so gewesen wäre.”
“Wie kommst du darauf?” Carolyn nahm sich eine Scheibe Brot und dazu Käse.
Entmutigt lehnte sich Susannah auf ihrem Stuhl zurück. Sie hatte in der Situation versagt und war deshalb nicht gerade stolz auf sich, vor allem, weil sie es besser wusste. “Ich habe versucht, Chrissie vor Troy zu warnen, doch ich hätte mir den Atem sparen können. Es war ein Fehler, überhaupt etwas zu sagen, weil sie mir jetzt beweisen will, wie falsch ich liege.”
“Ich denke nicht, dass Troy mit harten Drogen zu tun hat, falls es das ist, was dir Sorgen bereitet”, sagte Carolyn.
Es tat gut, das zu hören. Aber Troy sah definitiv wie jemand aus, der mit Drogen herumexperimentierte, und die Tatsache, dass er seinen Job im Sägewerk wegen der Drogentests geschmissen hatte, unterstrich diesen Eindruck nur noch. “Ich habe mit meinem Mann gesprochen, und er meinte, wir hätten Chrissie zu einem verantwortungsvollen, mündigen Menschen erzogen, und mit beinahe zwanzig sei sie fähig, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen.”
“Denkst du genauso?”, fragte Carolyn, legte den Kopf schief und blickte Susannah an. “Da ich nie Kinder hatte, wäre ich mir nicht sicher.”
“Tatsache ist, dass ich mir auch nicht sicher bin”, murmelte Susannah. Es wäre so schön gewesen, diese Wochen mit ihrer Tochter zu verbringen – nur sie beide. Bisher waren sie hier gut miteinander ausgekommen, und das Letzte, was Susannah wollte, war, mit Chrissie über einen jungen Mann in Streit zu geraten, den sie kaum kannten und der genauso schnell, wie er in ihr Leben getreten war, auch wieder verschwunden sein würde.
“Ich finde das alles so schwierig”, sagte Susannah und deutete um sich. “Ich verpacke und sortiere das Leben meiner Eltern und entdecke dabei auch so viele Dinge, die zu meinem Leben gehören. Zum Beispiel hat Mom meinen ersten Milchzahn behalten. Außerdem habe ich eine Mappe gefunden, in der sie all meine Schularbeiten aufbewahrt hat – von der ersten Klasse an. Sie hat alles gesammelt, und damit meine ich wirklich
alles.”
Carolyn nickte. “Ich weiß, was du meinst. Ich habe zwar die persönlichen Gegenstände meiner Eltern nicht weggeräumt, doch ich bin in ihr Haus gezogen. Und überall wo ich hinschaue, werde ich mit Erinnerungen konfrontiert. Es war ein bisschen unheimlich zuerst, verstehst du?”
Ja, Susannah verstand. Und wo sie gerade von
unheimlich
sprachen … Sie beugte sich vor und fragte sich, ob sie wirklich etwas sagen sollte. Schließlich fasste sie sich ein Herz. “Ich habe es Joe nicht erzählt, weil ich ihn nicht beunruhigen wollte. Aber – jemand war im Haus.”
Carolyn, die gerade einen Schluck aus ihrem Glas nehmen wollte, erstarrte. “Jemand ist ins Haus eingedrungen?”
“Nein, das ist ja das Verrückte. Es gibt keine offensichtlichen Einbruchsspuren, und es fehlt nichts Wertvolles. Ich vermisse einige Sportabzeichen und Baseballkarten. Und ein paar andere Dinge.” Sie hielt inne. “Es ist nicht zum ersten Mal passiert.”
“Hast du Angst?”, fragte Carolyn.
“Ja, und es treibt mich in den Wahnsinn. Wer würde so etwas tun – und warum?”
“Hast du einen Verdacht?”
Susannah schüttelte nur stumm den Kopf.
Carolyn knabberte an ihrem Brot mit Käse. “Glaubst du, dass der Geist deines Vaters noch immer umgeht?”
“Nein!” Der Gedanke erschreckte Susannah. “Das ist es nicht. Dies hier ist … anders.” Susannah schwieg einen Augenblick lang und suchte nach den passenden Worten. “Donnerstagnacht, als ich ins Haus kam,
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