Garten des Lebens
unterscheiden.
“Glaubst du tatsächlich, dass deine Mutter es dir erzählen würde, wenn sie etwas wüsste?”
Susannah konnte das nicht mit Sicherheit sagen und machte eine vage Geste. “Sie hat mir versprochen, mit Vater zu reden, wenn er sie das nächste Mal besuchen kommt.”
Carolyn sah sie besorgt an. “Ach du meine Güte.”
“Oh ja.” Sie stützte den Kopf in ihre Hände. “Ich sagte, das sei eine gute Idee und dass ich gespannt sei, was Dad dazu sagen würde. Was hätte ich sonst tun sollen? Manchmal kommt es mir so vor, als sei meine eigene Mutter eine Fremde für mich.”
Carolyn nickte und bestellte ein Glas Merlot, als die Bedienung an den Tisch kam. “Ich könnte mir vorstellen, dass es Tage gibt, an denen Vivian sich selbst nicht erkennt.”
Vermutlich hatte Carolyn recht. Ihre Mutter verstand nicht, was sich verändert hatte und warum. Ab und zu wusste sie, dass der Mann, mit dem sie beinahe sechzig Jahre verheiratet gewesen war, tot war, aber manchmal – vielleicht weil sie ihn brauchte und der Gedanke sie beruhigte – “erweckte” sie ihn wieder zum Leben.
“Ich kann gar nicht sagen, wie enttäuschend und schmerzvoll es ist, zu erkennen, dass mein Vater etwas Derartiges tun konnte”, sagte Susannah und hielt den Brief hoch. Ihre Stimme zitterte. Susannah fühlte sich betrogen und ungerecht behandelt. “Ich habe nicht geglaubt, dass er mich nach seinem Tod noch verletzen kann – aber er kann es.”
“Und was willst du nun tun?”, fragte Carolyn.
“Tun? Was
kann
ich denn tun? Es ist mehr als dreißig Jahre her. Es ist nicht so, als könnte ich die Uhr zurückdrehen.”
“Das stimmt, aber …”
Susannah blickte Carolyn mit geweiteten Augen an, als ihr die Möglichkeiten klar wurden. In ihrer Aufregung stand sie beinahe von ihrem Sitz auf. “Ich könnte Jake finden”, flüsterte sie. Seit Wochen spielte sie mit dem Gedanken und hatte ihn immer wieder beiseitegeschoben, weil … weil sie Angst hatte. Doch jetzt glaubte sie, eine Rechtfertigung zu besitzen, einen Grund, um ihn zu suchen.
Carolyn befürwortete die Idee nicht sofort. “Du bist verheiratet”, erinnerte sie ihre Freundin. “Jake ist vielleicht auch gebunden. Bist du sicher, dass du diese Kiste öffnen willst?”
Susannah dachte an die alte griechische Sage von Pandora und der Büchse, die das Unheil über die Welt brachte. Carolyn wollte, dass ihre Freundin innehielt und nachdachte. “Ich weiß nicht …”
“Warum ist es dir so wichtig, Jake zu finden?”, fragte Carolyn. “Denk darüber nach, Susannah.”
“Weil wir beide von unseren Eltern betrogen worden sind”, antwortete Susannah. “Sein Vater hat ihn verkauft, und mein Vater hat Mr. Presley ein Angebot gemacht, das er nicht ablehnen konnte. Kannst du dir vorstellen, wie viel Geld fünftausend Dollar für einen Mann wie Allan Presley waren?” Es tat weh, zu wissen, den Beweis zu haben, dass alles Schlechte, was sie über ihren Vater gedacht hatte, tatsächlich wahr war. Er war durchtrieben, unaufrichtig und herzlos. “Das war im Übrigen nicht der einzige große Scheck, den er ausgestellt hat”, stieß sie hervor.
“Wovon sprichst du?”
Susannah sank in sich zusammen. Es war dem Andenken ihres Vaters sicher nicht zuträglich, aber sie musste es einfach loswerden. “Als ich Dads Kontoauszüge durchsah, habe ich herausgefunden, dass er über die Jahre einige größere Summen abgehoben hat. Alle Schecks waren bar ausbezahlt worden, also gibt es keine Möglichkeit herauszufinden, was er mit dem Geld gemacht hat.”
“Investitionen?”, überlegte Carolyn.
“Wenn das so war, kann ich keine Hinweise dafür finden.”
“Was ist mit Ausgaben für Urlaubsreisen?”
Susannah schüttelte den Kopf. “Meine Eltern verreisten selten.” Tatsächlich glaubte sie nicht, dass ihre Mutter in ihrem ganzen Leben mehr als ein paar wenige Male in die Ferien geflogen war. Die Fahrt nach Kalifornien war möglicherweise die einzige längere Reise, die die beiden unternommen hatten.
Carolyn war still geworden. “Es könnte noch einen anderen Grund geben.”
“Welchen?” Susannah war schon den ganzen Tag wütend auf ihren Vater. Die Gründe für das Abheben solch hoher Summen und die Geheimniskrämerei waren ihr ein Rätsel. Susannah wusste, dass ihre Mutter bis vor Kurzem nie einen Scheck ausgeschrieben hatte. Sie hatte keine Ahnung, wie man Finanzen verwaltete oder wofür ihr Mann das Geld ausgab. Für Vivian gehörten Geldangelegenheiten nicht
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