Garten des Lebens
zu ihrem Aufgabengebiet – darum kümmerte sich George. Sie war für Haushalt und Wohlbefinden ihres Mannes verantwortlich.
Carolyn zögerte. Als sie schließlich sprach, klang ihre Stimme gedämpft. “Ich habe doch erwähnt, dass mein Vater mit mir sprechen wollte, bevor ich nach Colville zurückgekommen bin, erinnerst du dich?”
“Du hast gesagt, er wollte, dass du die Firma übernimmst.”
“Das stimmt, aber er wollte noch aus einem anderen Grund vorher mit mir reden. Ein wichtiger Grund.” Sie straffte die Schultern, mied jedoch Susannahs Blick. “Du hast dir sicher schon gedacht, dass die Ehe meiner Eltern nicht gerade perfekt war.”
Susannah hatte in der Tat darüber nachgedacht. Doch sie antwortete nicht darauf, sondern bedeutete Carolyn mit einem aufmunternden Kopfnicken, fortzufahren.
“Mom hat sich nie an das Leben in Colville gewöhnt. Sie hasste es, hier zu wohnen, und fühlte sich gefangen. Doch jeder, den sie gekannt und geliebt hatte, war im Krieg ums Leben gekommen. Mein Vater konnte sie nicht verlassen. Er hätte das nie getan. Und so machte er das Beste aus der ganzen Situation bis … bis ich von zu Hause auszog und er sich in eine andere Frau verliebte.”
“Dein Vater hatte eine Affäre?”
Carolyn nickte. “Lily war zwanzig Jahre lang seine Sekretärin und seine Geliebte.”
Susannah war überrascht, dass ihre Freundin ihr etwas so Intimes und Schmerzvolles erzählte. Oder … “Glaubst du, dass mein Vater … eine Geliebte hatte?”
“Ich weiß es nicht, aber es wäre eine Erklärung für das fehlende Geld.”
“Tausende und Tausende von Dollars”, flüsterte Susannah. Die Vorstellung erschreckte sie.
“Dad liebte Lily von Herzen”, sagte Carolyn. “Als er wusste, dass er sterben würde, hat er mich gebeten, nach Hause zu kommen. Er wollte, dass ich mich nach seinem Tod um sie kümmere.”
Susannah war entsetzt. “Ich kann nicht glauben, dass er das von dir verlangt hat.”
“Es war nicht einfach für mich, aber ich habe ihm diesen Wunsch erfüllt, weil ich meinen Vater liebte. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Mom keine Ahnung von Dads Affäre hatte. Und wenn sie es denn gewusst hat, so hat sie sich zumindest nie etwas anmerken lassen.”
“Was geschah mit Lily?”
Tränen schimmerten in Carolyns Augen. “Sie starb im letzten Jahr. Offen gesagt, auch ich habe sie lieb gewonnen. Sie war wie eine Mutter für mich – mehr, als meine eigene Mutter es je war. Ich habe sie neben meinem Vater beerdigen lassen. Das wäre sein Wunsch gewesen.”
“Und deine Mutter?”
“Sie liegt an seiner anderen Seite.”
Die Vorstellung, dass ihr Vater eine andere Frau geliebt hatte, war unfassbar für Susannah. Doch sie lernte gerade, dass sie ihn nicht wirklich gekannt hatte. Nicht einmal im Traum hätte sie es für möglich gehalten, dass er Jakes Vater bestochen haben könnte. Und der bloße Gedanke daran ließ die Wut wieder in ihr hochkochen.
“Ich werde Jake finden”, beharrte sie. “Ich weigere mich, meinen Vater mit dieser Sache durchkommen zu lassen. Es ist mir egal, ob er eine Geliebte hatte. Das will ich nicht wissen. Aber ich will Jake finden. Ich werde es übers Internet versuchen.” Es musste doch Websites geben, auf denen man vermisste Menschen suchen konnte.
“Was ist mit Joe?”, fragte Carolyn.
Für einen Moment hatte Susannah ganz einfach jeden Gedanken an ihren Ehemann und daran, wie er wohl reagieren würde, wenn er herausfand, was sie vorhatte, beiseitegeschoben. Das war einfach. Und es war einfach, sich einzureden, dass er nichts dagegen haben würde, wenn sie nach Jake suchte. Er war in Seattle, und sie war hier in Colville, und Susannah hatte das Gefühl, sie seien nie weiter voneinander entfernt gewesen.
“Er wird es verstehen”, erklärte Susannah und fügte hinzu: “Ich werde Joe nichts sagen, bis ich Jake tatsächlich gefunden habe.” Warum sollte sie ihn unnötig aufregen?
“Willst du wissen, was ich denke?”, fragte Carolyn.
Susannah dachte über die Frage nach. Natürlich wollte sie wissen, was ihre Freundin zu sagen hatte, doch zugleich fürchtete sie, dass Carolyn ihr davon abraten könnte, Jake zu suchen. Das wäre zwar ein guter Ratschlag, doch unglücklicherweise nicht das, was Susannah hören wollte.
“Du denkst, dass ich besser die Finger von der Sache lasse.” Susannah wünschte, sie könnte das so einfach. Aber sie musste mit Jake sprechen, musste ihm wenigstens sagen, wie leid es ihr tat, dass ihre Familie ihn
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