Garten des Lebens
war ansteckend. “Es gibt nur einen Weg, um sich Sicherheit zu verschaffen. Ruf ihn an.”
“Jetzt?”
“Vielleicht solltest du bis morgen früh warten”, schlug Carolyn vor und lächelte.
Susannah war zu aufgeregt, um still zu sitzen. Nach all den Jahren, all den Fragen und der Reue hatte es nicht mehr als ein paar Tastenanschläge auf dem Computer gebraucht, um Jake zu finden.
19. KAPITEL
S pät in der Nacht erwachte Vivian. Die Erinnerung an die Auseinandersetzung mit ihrer Tochter an diesem Nachmittag machte ihr das Herz schwer. Nie hatte sie Susannah so außer sich erlebt. Aber was auch immer Susannah glaubte – Vivian war sich sicher, dass George nie etwas getan hatte, das seinen Kindern geschadet hätte. Es musste ein Missverständnis sein.
Das Zimmer lag im Dunkeln, aber ihre Augen gewöhnten sich schnell an das fahle Mondlicht, das durchs Fenster fiel. Sie setzte sich in ihrem Bett auf und versuchte sich ins Gedächtnis zu rufen, was Susannah ihr erzählt hatte. Wenn doch nur George zu ihr kommen würde. Dann könnte sie ihn fragen. Er würde alles erklären, und Vivian würde es ihrer Tochter erzählen – alles würde wieder gut werden.
Nur, George war bis jetzt nicht gekommen. Dabei hatte sie auf ihn gewartet, so lange, bis sie eingeschlafen war.
George selber hatte sie davon überzeugt, ins
Altamira
zu gehen. Er hatte ihr versichert, dass es die richtige Entscheidung war. Doch seit sie ihr Apartment bezogen hatte, war George noch nicht ein einziges Mal zu ihr gekommen. Sie war allein … und enttäuscht.
Vivian schob die Bettdecke zur Seite, griff nach ihrem Morgenmantel und schlüpfte hinein. Ihr Gleichgewichtssinn war nicht mehr so gut wie früher. Mittlerweile benutzte sie einen Gehstock. Sie hatte Susannah nicht erzählt, dass sie oft auf den Stock angewiesen war, denn sie wusste, dass ihre Tochter wieder eine große Geschichte daraus machen würde. Und so hatte Vivian den Stock nie in Gegenwart ihrer Familie benutzt. Jetzt jedoch brauchte sie ihn.
Vorsichtig schlurfte sie durch das dunkle Zimmer, von ihrem Bett zum Wohnzimmersessel. Sie konnte sich im Augenblick nicht daran erinnern, wo das Licht war … Aber es schien, als würde George immer in der Nacht zu ihr kommen – wenn sie sich also in den Sessel setzte und auf ihn wartete, würde er vielleicht bemerken, wie dringend sie mit ihm reden musste.
Die Dunkelheit und die Stille umschlossen sie, und sie musste sich zusammenreißen, um nicht wieder einzuschlafen. Als mit einem Mal ihr Kopf zur Seite sackte, wurde sie wieder hellwach. Verwirrt setzte Vivian sich auf. Ihr Herz pochte wild. Doch dann erinnerte sie sich dran, dass sie ja auf George wartete. Sie musste ihn etwas Wichtiges fragen – aber nun hatte sie vergessen, was es war. Es würde ihr sicher wieder einfallen, sagte sie sich.
Konzentriert dachte sie über ihre Frage nach. Es hatte etwas mit Susannah zu tun, so viel war sicher. Doch George kam nicht.
Und in dem Moment wusste Vivian, warum er nicht kam. Er hatte bestimmt vergessen, dass sie nicht mehr in der Chestnut Avenue lebte. Wahrscheinlich war er dort und fragte sich, warum sie nicht da war. Er machte sich bestimmt große Sorgen. Es half nichts – sie musste zu ihm.
Vivian stützte sich auf ihren Gehstock und erhob sich mühsam. Als sie endlich stand, atmete sie schwer. Langsam ging sie zur Tür. Es fühlte sich an, als hätte ihr jemand Mehlsäcke an die Beine gehängt. Die Füße anzuheben und ganz normal zu gehen schien unmöglich zu sein. Jeder Schritt war ein harter Kampf, doch auch das hinderte sie nicht an ihrer Entschlossenheit.
Leise öffnete sie die Tür und blickte den Flur entlang. Sie konnte niemanden entdecken. Der Himmel wusste, wo sie war. George wäre gewiss sehr ärgerlich.
So schnell sie konnte, ging sie den Flur entlang. Er war lang und schlecht beleuchtet, erinnerte an einen Krankenhausflur, aber Vivian wusste, dass das nicht stimmte. Sie trug keine Krankenhauskleidung, und sie sah keine Pfleger oder Schwestern auf dem Gang. Obwohl das heutzutage natürlich nichts zu bedeuten hatte – die Krankenhäuser waren personell unterbesetzt. Niemand respektierte die Kranken. Und die Alten waren auf sich allein gestellt.
“Sie sind aber schon früh auf den Beinen.”
Vivian hielt an und sah sich um, konnte aber niemanden entdecken.
“Hier!”
Sie drehte sich um und blickte in die Richtung, aus der die Stimme zu kommen schien. Ein älterer Herr stand neben dem Billardtisch. Er trug einen
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