Gartengeschichten
sie liebte. Malve und Goldlack – das Wartejahr, in dem sie nur eine Art Salatkopf herzeigen, war ihm zuviel. Deshalb nahm er auch liebevoll in Kauf, was der Boden von sich aus bot. Er rodete nichts, oder nur sehr wenig. Selbst Brombeeren wurden von ihm mit aufmerksamer Zuneigung behandelt, und die sindwirklich eine Pest. Holunder, wunderbar! Man muß ihm nur seine Grenzen zeigen. Und nie verstand er, was die Leute gegen Kanadische Goldruten und Buntnesseln hatten.
So machte er aus Wildlingen kultivierte Gartenbewohner, oft fand er echte Aristokraten unter ihnen versteckt: einen fast verreckten Rosenbusch edelster Art oder eine besonders wohlschmeckende Stachelbeersorte zum Beispiel. Unter seinen Händen mäßigten sich die Ungestümen, und die Unterdrückten erholten sich schnell.
Garten heißt warten, sagt das Sprichwort. Das konnte er aber nicht, dieser Gärtner, denn er wußte nie, wieviel Zeit ihm mit seinem jeweiligen Flecken Erde gegönnt war. Der aus Trümmern entstandene Theatergarten blieb ihm immerhin drei oder vier Jahre, für seine Verhältnisse war das eine Ewigkeit. Sonst hatte er sich oft nur ein, zwei Jahreszeiten um ein Stück Erde kümmern dürfen, bevor ihn Schulden oder Streitigkeiten weitertrieben. Einmal vertraute er mir an, er kenne von jedem Terrain, das er einmal bearbeitet habe, die Möglichkeiten. Wie klein oder groß sie auch gewesen seien, er könne bis in alle Einzelheiten zeichnen, wie sie geworden wären, seine Gärten. Er trug sie in sich, die Paradieseseigenschaften seiner vernachlässigten Müll- und Trümmerländereien.
Man konnte tatsächlich zuschauen, wie er mit leichter Hand, ein paar dünnen Ranken, wenigen Samenkörnern und irgendwelchen alten Töpfen und Kübeln elegante und überraschende Lösungen auch für schwierige Orte fand. Ihm verdanke ich den großen Respekt vor allen Einjährigen, sie machen zwar Arbeit, verschwenden sich aber, wenn man sie richtig behandelt, aufs schönste und gaukeln einem heimatlosen Gärtner Ewigkeit vor. Auch auf den Einsatz von allerlei Rankendem verstand er sich, sei es als Versteck oder alsUnterstreichung. Bei ihm sah Efeu in seinen hundert Spielarten nicht nach Friedhof aus, sondern festlich und fürstlich. Efeu, die Pflanze der Schlösser und Klöster. Es kommt nur darauf an, wie man mit ihm umgeht. Man darf ihm nichts ganz überlassen, keinen Baumstamm und keine Mauer. Man muß genau erkennen können, woran er sich klammert, das bedeutet ein ewiges Kräftemessen. Aber man muß ihn auch an manchen Stellen in Frieden altern lassen, denn erst der alte Efeu zeigt sich in voller Schönheit, mit seiner veränderten Blattform und den Beerenbüscheln. Natürlich braucht der Efeu heitere Gegenspieler, sonst führt er zur Gärtnermelancholie oder zur Kapitulation. Die Schwarzäugige Susanne zum Beispiel oder Prunkwinden, in jenem einzigartigen Blau, das nur noch alte Leute von Zuckertüten oder Sommerhimmeln kennen. Prunkwinden, die Morning Glory heißen und Tag für Tag Hunderte von makellosen Blütenrädern schlagen, die sie dann abends zu ordentlichen Röllchen zusammenfalten, um den nächsten Platz zu machen. Auch Duftwicke und Glockenrebe sind genügsame Gartendarsteller, die sich ihrer überwältigenden Wirkung gar nicht bewußt zu sein scheinen. Bereitwillig ringeln sie sich um irgendwelche Häßlichkeiten und umgeben sie mit Farbe und Wohlgeruch.
Ich glaube, die Anlage seines Theatergartens war für das Gartengenie eine glückliche Zeit. Er plante sogar ein wenig langfristiger und wagte, den folgenden Jahren zu vertrauen. Der Wünschelrutengänger hatte Wasser gefunden, und es entstand ein kleiner Brunnen. Damit entfiel die Eimerschlepperei. Beim Graben erwies sich das Gelände auch als archäologisch interessant. Nichts Antikes gab der Boden frei, dafür Reste von hübschem Porzellanspielzeug aus dem neunzehnten Jahrhundert, offenbar hatte es dort eine kleine Fabrik gegeben. Winzige Torsi, Hände und Köpfe wurdenausgegraben, gesäubert und auf einer Mauer zur Schau gestellt. Das war nicht von langer Dauer. Die kleinen Kostbarkeiten verschwanden rasch in den Taschen der Besucher. Der Gärtner nahm das stoisch hin, er hatte seine Gärten nie beschützen können, weil sie ihm ja nicht gehörten. Jeder konnte sie benutzen, Eigentum als solches hatte sowieso in seinen Kreisen einen schlechten Ruf.
Am Morgen nach irgendwelchen Festen, zu denen nicht er eingeladen hatte, konnte man ihn sehen, wie er still Flaschen und Kippen einsammelte,
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