Gartengeschichten
zweite, weiter entfernt, um ihr zu antworten. Wir haben sehr wenig miteinander gesprochen. Ich verbrachte den Tag im Garten mit Umgraben und hob von Zeit zu Zeit die Augen zum Schlafzimmerfenster. Dort standest Du reglos, den Blick in die Ferne gerichtet. Ich bin sicher, daß Du daran arbeitetest, den Tod zu zähmen, um ihn furchtlos bekämpfen zu können. Du warst so schön und so entschlossen in Deinem Schweigen, daß ich mir nicht vorzustellen vermochte, Du könntest nicht mehr leben wollen. Das schreibt André Gorz in seinem Brief an D. an seine schwerkranke Frau Dorine. Die über ein halbes Jahrhundert währende Liebe sollte noch einmal festgehalten werden, und der Schutzraum dieser Liebe war in ihren letzten Jahren der Garten, den sie selbst geplant und ausgeführt hatten.
Dort, wo nur eine Wiese war, hast Du einen Garten aus Hecken und Sträuchern angelegt. Ich habe zweihundert Bäume gepflanzt.
Menschen, die das Paar besucht haben, erzählen davon, wie wichtig den beiden das Draußensein war, Vogelstimmen und Bäume.
Jeder von uns möchte den anderen nicht überleben müssen , schrieb André Gorz in dem kleinen Buch für Dorine, das ein Riesenerfolg wurde. Sie sorgten dafür, daß dieser Wunsch in Erfüllung ging. Im September 2007 haben sie gemeinsam das Leben verlassen. Ihr Garten wird an sie erinnern.
Der Gärtner von der traurigen Gestalt
»der Scherben aufliest und Nägel / der jeden Findling signiert jede Eiche / der den Konvoi vorbeifahren läßt / der kommt zu spät«
Helga M. Novak
Einer der leidenschaftlichsten und grünhändigsten Gärtner, die ich kannte, hat nie in seinem Leben auch nur einen Quadratzentimeter Boden besessen. Er war arm wie eine Blattlaus, aber alles wurde unter seinen Händen zum Garten. Fensterbänke, Müllecken, verlassene Bauruinen, verwaister Boden jeder Art: Er konnte gar nicht anders, als Gärten anzulegen, das war seine Passion. Er war der Erfinder des Pechs, ein Chaot und Schnorrer, ein Verlierer, ein bedauernswerter, nicht immer angenehmer Typ. Und ein begnadeter Gärtner. Wenn er einen Besenstiel in den Sand steckte, trieb der Zweige. Als wollten ihn Gewächse jeder Art über seine Unzulänglichkeit und Erfolglosigkeit hinwegtrösten, gediehen sie für ihn auch an den ungeeignetsten Stellen. Als ich ihn kennenlernte, arbeitete er als Bühnenbildner für ein kleines Theater. Das hatte er nicht gelernt, konnte es aber ganz gut. Das Theaterchen hatte sich auf einem ehemaligen Fabrikgelände angesiedelt, einem weitläufigen, romantischen und ziemlich vergammelten Backsteinlabyrinth. Dort wurde gewohnt, gefeiert, gespielt, und dort entstand, vom Ensemble und dessen unübersichtlichem Freundeskreis zunächst unbemerkt, ein Garten.
Ungenutzter Raum unter freiem Himmel entging ihm nirgendwo, auch hier nicht. Er sah sich erst einmal das Gelände an, ein Trümmerfeld von der Größe etwa einer Fünfzimmerwohnung. Er betrachtete Senken und Erhebungen, Steine undGestrüpp, Schatten und Licht. Er begann wie jeder Schöpfer mit dem Trennen: Erde zu Erde, Stein zu Stein, und woher konnte man in dieser Wüste Wasser bekommen? Ein Wünschelrutengänger war behilflich, das kam aber erst später. Zunächst einmal wurde Eimer auf Eimer geduldig vom Haupthaus herangeschleppt, dann eine Regentonne organisiert. Nichts in seinen Gärten hatte jemals etwas kosten dürfen, und die Verlockungen der Gartencenter und -märkte existierten für ihn nur insoweit, als er oft zum Blühen brachte, was sie weggeworfen hatten.
Die Geschichte war noch im Stadium gegenseitigen Kennenlernens, und der Schuttplatz zeigte seinem Entdecker einen kleinen Hügel, auf dem sich am frühen Nachmittag die Sonne niederließ. Aus den vielen alten Ziegelsteinen schichtete er verschieden hohe Mäuerchen für Gartenräume auf. Er baute nicht das übliche Schachbrettmuster, sondern die Ziegelmauern schienen eine Landschaft mit Wegen und Burgen zu markieren. In kürzester Zeit entstand in der Wüstenei eine Ordnung, die nun mit Blätter- und Blütenchaos gefüllt werden wollte. Es waren gleichsam die Knochen, das Skelett für einen Garten erschaffen, nun kam das Vergänglichere dran. Er, der Gärtner, plante nie auf lange Zeit, er war kein Fürst Pückler-Muskau. Daß er nirgendwo lange bleiben würde, wußte er. Seine Gärten versprachen keine Zukunft, aber es gelang ihm, üppig blühende Gegenwart zu schaffen. Niemals hätte er einen Baum gepflanzt. Selbst zweijährige Pflanzen säte er nicht gern aus, obwohl er
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