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Gauß: Eine Biographie (German Edition)

Gauß: Eine Biographie (German Edition)

Titel: Gauß: Eine Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hubert Mania
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Erdmagnetismus im Inneren der Erde zu finden sei. Ob hingegen die beobachteten stündlichen Störungen und Abweichungen ebenfalls dort ihren Ursprung haben, hält er für zweifelhaft. Die erdmagnetische Kraft sei «die Resultante der Wirkung sämtlicher magnetischer Teile der Erde» [GauXI,2: 75]. Das magnetische Moment des gesamten Erdkörpers vergleicht er mit einer ungeheuren Menge einpfündiger Magnetstäbe, wie er sie gern für seine eigenen Experimente einsetzt: «Es wären daher 8464 Trillionen solcher Magnetstäbe … erforderlich, um die magnetische Wirkung der Erde … zu ersetzen, was bei einer gleichförmigen Verteilung durch den ganzen körperlichen Raum der Erde beinahe 8 Stäbe … auf jeden Kubikmeter beträgt» [GauV: 165]. In seiner Abhandlung bedauert Gauß, «nur Bausteine … und keine Gebäude» [GauV: 122] anbieten zu können. Die wirkliche Verteilung magnetischer Mengen im Erdinneren bleibe völlig unbestimmt. Und die wissenschaftliche Redlichkeit erfordere den Hinweis auf die ebenfalls ungeklärte Frage, ob ein gewisser Anteil des gesamten Erdmagnetismus nicht doch von äußeren Ursachen abhänge. Spätere wissenschaftliche Entwicklungen haben seine vorsichtigen Annahmen bestätigt. Etwa 6 Prozent des Erdmagnetfelds gehen auf das Konto äußerer Ursachen wie Sonnenwind und Polarlichter.
    Gauß hat erreicht, dass für jeden Ort auf der Welt das magnetische Potenzial errechnet werden kann, selbst wenn dort noch keine einzige Messung vorgenommen worden ist. Und die mathematischen Ableitungen aus seiner Theorie erlauben es ihm, die geographische Lage des magnetischen Südpols und Nordpols hinreichend genau zu bestimmen. Als 1841 der amerikanische Marinekapitän Charles Wilkes den magnetischen Südpol festlegt, kommt er den theoretischen Vorausberechnungen viel näher, als Gauß selbst es erwartet hat [GauV: 580]. Die allgemeine Theorie des Erdmagnetismus ist das Äußerste, was 1839 die vereinte Wissenschaftlergemeinde unter Führung von Carl Friedrich Gauß zu leisten vermag. In weltweiter Kooperation mit seinen Kollegen hat Gauß das Erdmagnetfeld aufgezeichnet und einen Atlas mit Magnetlinien zusammengestellt. Dennoch bleibt seine Theorie eher eine Beschreibung des Phänomens als eine genaue ursächliche Bestimmung. Und da Gauß unreife Hypothesen nicht äußern mag, hält er sich zurück und lässt ausnahmsweise einmal das Gerüst vor diesem unvollendeten Gedankengebäude stehen.
    Clemens Schaefer, Herausgeber der Gauß’schen Arbeiten über Magnetismus, kommentiert: «Seine Theorie liefert den großen Rahmen, in den sich jede spätere (im eigentlichen Sinn des Wortes physikalische) Theorie einspannen lässt. Sie beruht auf allgemein gültigen mathematischen Sätzen und hat deshalb Ewigkeitswert, weil sie in gewissem Sinne leer ist» [GauXI,2: 92]. Eine erstaunliche Aussage, die aus einer Not eine Tugend macht. Der Wissenschaftshistoriker Nicolaas Rupke ist da weniger zimperlich. Er spricht offen vom «tragischen Scheitern» [Rup: 199 f.] in einer ansonsten glänzenden Karriere. Gauß habe anfangs gehofft, einem großen Naturgesetz auf die Spur zu kommen, das an die Bedeutung der universellen Gravitation Newtons heranreicht. Mit Mitte fünfzig weiß Gauß, dass ihm nicht mehr viel Zeit bleibt, um mit seinem Vorbild Newton gleichzuziehen. Vielleicht rührt daher auch die magnetische Monomanie, diese buchstäbliche Verwicklung in seine Drähte, die Humboldt so irritiert hat. Die Anziehungskraft des Magnetismus mit der Gravitationsanziehung in Verbindung zu bringen, liegt auf der Hand. Womöglich ist dieses Bild deshalb für Gauß mehr als nur ein suggestives Gleichnis, nämlich ein Ansporn, dem Inneren des Planeten ein Geheimnis zu entlocken, das kosmologische Dimensionen haben könnte. Das wäre ihm dann aber tatsächlich nicht gelungen, denn im Gegensatz zur Vorhersagekraft der Gravitationstheorie lassen sich künftige Abweichungen und Schwankungen der Magnetnadeln mit seiner allgemeinen Theorie des Erdmagnetismus nicht vorhersagen. Gauß koordiniert weltweite Messungen und strukturiert die Daten. Und wenn sich daraus keine wiederkehrenden Zahlenverhältnisse und Muster ergeben, muss er sich mit dem Erreichten zufriedengeben. Aber daraus ein «tragisches Scheitern» ableiten zu wollen führte wohl zu weit. Herausgeber Schaefer spricht im Zusammenhang mit der Festlegung des magnetischen Südpols gar von einem «Triumph» der Gauß’schen Theorie.

    Am 30. April 1837 hat Gauß seinen 60.

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