Gauß: Eine Biographie (German Edition)
Journal, um künftig die weltweiten Messergebnisse zu veröffentlichen. Und im Sommer 1837 schreibt Alexander von Humboldt an Gauß: «Ihr grosser Name und die völlige Umgestaltung der Beobachtungen, welche Sie geschaffen und verbreitet haben, hat jetzt eine Assoziation zustande gebracht, deren Früchte allmählich die Entzifferung ‹jener geheimnisvollen Hieroglyphenschrift› sein wird. Auf mehr als 20 Punkten sind jetzt schon Ihre Instrumente aufgestellt …» [GauXI,2: 48]. Insgesamt werden es 53 Beobachtungsstationen sein. Drei Jahre lang hat Funkstille zwischen den beiden geherrscht. Schuld daran ist ein allzu lässig formulierter Satz von Gauß gewesen, auf den Humboldt empfindlich reagiert hat. Mit Genugtuung hat Humboldt zuvor zur Kenntnis genommen, dass Gauß sich mit ganzer Kraft der Erforschung des Erdmagnetismus gewidmet hat, und spielt 1833 in einem Brief auf die schönen drei Wochen in seinem Berliner Haus an, wo er Gauß mit den Magnetmessungen vertraut gemacht habe. Natürlich betrachtet er diesen Besuch in Berlin als den entscheidenen Anstoß, den Gauß gebraucht habe, um sich ebenfalls damit zu befassen.
Gauß aber wertet diese Erfahrung ab, indem er die Experimente mit Humboldts Apparaten unnötig schroff als «unbedeutende Versuche» bezeichnet. Vielmehr beschäftige er sich bereits seit vier Jahrzehnten mit dem Phänomen des Magnetismus. Ein paar Zeilen später räumt er ihm immerhin das Verdienst ein, ihn mit Weber bekannt gemacht zu haben. Da liegt es nahe, dass sich der unermüdliche Verfechter der Erdmagnetismusforschung als Amateur abqualifiziert fühlen muss, der seine vermittelnde Schuldigkeit getan hat. Mit Sicherheit hat Gauß ihn nicht beleidigen wollen, aber wenn er sich mit etwas Neuem beschäftigt, dann mit der ganzen besitzergreifenden und gelegentlich etwas starr anmutenden Ernsthaftigkeit seines Charakters. Alexander von Humboldt ist verständlicherweise eingeschnappt. Pikiert über die vermeintliche Arroganz des Kollegen in Göttingen, bezeichnet er anschließend Gaußens telegraphische Versuche Bessel gegenüber als «sonderbare Nebenwege» [Bim 2 : 49]. Er führt vor, dass er sich auskennt. Bereits im letzten Jahr des 18. Jahrhunderts habe er die optischen Telegraphierversuche eines Herrn Bétancourt in Madrid miterlebt. Natürlich weiß er auch von Napoleons Reaktion auf den kuriosen Blubberapparat von Soemmerring. Auch mit den elektromagnetischen Telegraphieexperimenten des in Petersburg forschenden Barons Paul Schilling von Cannstadt ist Humboldt vertraut. Cannstadt steht mit Gauß in kollegialer Korrespondenz. Man tauscht freundlich Gedanken aus, doch der Baron erkennt bald, dass sein auf sieben Drähten basierendes Modell dem Gauß’schen Apparat hoffnungslos unterlegen ist. Hier aber will Humboldt, offenbar aus gekränktem Stolz, die Vorzüge der Göttinger Kommunikationstechnik nicht erkennen. Auch gegenüber der innovativen Gauß’schen Herangehensweise an die Messungen des Erdmagnetismus zeigt er sich anfangs ganz und gar nicht aufgeschlossen. Während alle anderen sich mit Lobeshymnen überschlagen, hält er sich auffällig zurück.
Besondere Brisanz gewinnt diese Verstimmung vor dem Hintergrund, dass die Erforschung des Magnetismus noch Aussicht auf wissenschaftlichen Ruhm verspricht. Ist nicht gerade die kürzlich entdeckte, unauflösliche Verbindung von Elektrizität und Magnetismus der beste Hinweis auf mögliche weitere Abhängigkeiten physikalischer Phänomene vom Erdmagnetismus? So lenken doch beispielsweise die farbenprächtigen Polarlichter die Nadel eindeutig ab. Welche Naturerscheinungen können noch in Wechselwirkung mit der magnetischen Kraft treten? Es geht um Prioritätsansprüche und eigene Entdeckungen. Alexander von Humboldt ist tatsächlich seit mehr als dreißig Jahren auf diesem Gebiet aktiv. Da hilft schon mal ein Hinweis von Gauß auf seine angeblich vier Jahrzehnte währende Beschäftigung mit dem Phänomen, wenngleich er nie ernsthaft daran gearbeitet hat. Und schließlich sucht Gauß ja noch nach einer Möglichkeit, die anziehende Kraft des Magnetismus mit der Massenanziehung der universellen Gravitation gleichzusetzen. Hofft er hier womöglich auf einen neuen theoretischen Entwurf von Newton’schen Dimensionen? Wer, wenn nicht Gauß, hätte wohl das Potenzial, eine große Theorie zur Vereinheitlichung der Naturkräfte zu entwerfen? Das erkennt selbstverständlich auch Humboldt neidlos an. Am undiplomatischen Gauß selbst aber kann
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