Gauß: Eine Biographie (German Edition)
sechs weitere Professoren, die sich gegen den Verfassungsbruch des Königs auflehnen. Es sind die Germanisten Jacob und Wilhelm Grimm, der Historiker Georg Gottfried Gervinus, der Jurist Wilhelm Eduard Albrecht sowie zwei Männer, die eng mit Gauß verbunden sind: sein Schwiegersohn, der Theologe und Orientalist Georg Heinrich August Ewald, und ausgerechnet sein Freund und Kollege Wilhelm Weber. Am 14. Dezember entlässt der König alle sieben Unterzeichner, die den Treueeid auf das neue Staatsoberhaupt verweigern, aus dem Staatsdienst. Die vermeintlichen «Rädelsführer» Dahlmann, Gervinus und Jacob Grimm werden sogar des Landes verwiesen. Daraufhin schreiben mehrere hundert Studenten den Protestbrief ab und verbreiten viele tausend Kopien im ganzen Deutschen Bund. Der Mut der «Göttinger Sieben», der liberalen Verfassung die Treue zu halten und sich gegen ihren Landesherrn zu stellen, erregt großes Aufsehen im In- und Ausland und befeuert die liberale Bewegung in Deutschland.
Er habe zwar noch den Schlüssel zu seinem Institut in der Tasche, schreibt der konsternierte Weber an Gauß, sei aber plötzlich nicht mehr Herr im Haus. Gauß schätzt Weber als grundsätzlich unpolitischen Menschen ein, als Mitläufer, der zur Unterschrift überredet worden sei. Für Gauß selbst ist es undenkbar, sich der Obrigkeit zu widersetzen, sei es nun der Herzog von Braunschweig, ein französischer Besatzungsoffizier, Jérôme Bonaparte, Wilhelm IV. oder König Ernst August von Hannover. Die Brüder Grimm werfen ihm vor, er habe sich im Senat der Universität «am widerwärtigsten benommen» [Fol: 24]. Die beiden Germanisten sind maßlos enttäuscht. Im Aufruhr der Ereignisse werden sie ihn bedrängt, womöglich genötigt haben, sich der Protestation anzuschließen. Und, wer weiß, vielleicht hätte Ernst August ja tatsächlich vorsichtiger gehandelt, wenn der Namenszug des großen Gauß unter dem Schreiben gestanden hätte. Den «Fürsten der Mathematiker» hätte er nicht so ohne weiteres von seinem Amt suspendieren können, ohne einen großen Solidarisierungseffekt damit auszulösen. Aber zu einem solchen Affront ist Carl Friedrich Gauß nicht bereit. Hier zeigt sich seine durch und durch konservative Natur. Er bleibt seinem König gegenüber loyal. Letztlich bevorzugt Gauß einen aufgeklärten Absolutismus gegenüber einer Herrschaft des Volkes. Für seinen Schwiegersohn Heinrich Ewald glaubt Gauß sich nicht einsetzen zu müssen. Unmittelbar nach seiner Entlassung hat er ein Angebot aus Tübingen bekommen, und es sieht so aus, als wolle er es annehmen. Das todkranke Lieblingskind Minna wird ihrem Ehemann nach Tübingen folgen und ihrem geliebten Vater nicht mehr nahe sein können. Den Gedanken daran scheint er zu verdrängen. Selbst Olbers, der in dieser Angelegenheit den Freund am liebsten heftig schütteln möchte, wirft ihm zwischen den Zeilen Realitätsverlust vor. Olbers kann nicht verstehen, warum Gauß keinen Finger dafür rührt, dass Ewald und Minna – Olbers’ Patentochter – in Göttingen bleiben können. Gauß bleibt kühl. Er wolle, selbst dem besten Freund gegenüber, sein Urteil über Ewald für sich behalten.
Für das Wohl von Wilhelm Weber aber wächst er, für seine Verhältnisse, über sich hinaus. Sechs Jahre glücklicher Zusammenarbeit können doch nicht wegen einer unüberlegten Unterschrift plötzlich vorbei sein. Drei Versuche startet er, um dessen Entlassung rückgängig zu machen. Selbstverständlich nicht persönlich in Wort und Tat und mit der ganzen Wucht seiner Erscheinung, sondern wieder nur indirekt über Vermittler, die Zugang zum königlichen Hof haben. Ernst August verlangt «Entsagung», «Reue», «Widerrufung», eine schriftliche Entschuldigung, was selbst Gauß als nicht akzeptable Demütigung betrachtet. Nach zwei gescheiterten Vorstößen bittet er Alexander von Humboldt um Unterstützung. Der schickt einen General und einen Grafen mit guten Beziehungen zum Hof vor. Auch diese Intervention scheitert. Was er für Weber empfindet, vertraut er Olbers an: «Weber, mein innigst geliebter Freund, ein kindlich reines, treues Gemüth, hat mir schon früher erklärt, dass er, selbst nicht wieder eingesetzt, in meiner Nähe bleiben werde, selbst Jahre lang … in Beziehung auf den Götterfunken Genie ist keiner, der werth wäre, ihm die Schuhriemen aufzumachen, keiner, der zur Erhaltung und Vermehrung des Glanzes von Göttingen in der wissenschaftlichen Höhe von ferne mit ihm zu
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