Gauß: Eine Biographie (German Edition)
oder will er sich nicht reiben. Also bewältigt er seine Probleme drei Jahre später im schriftlichen Dialog mit Schumacher, der sich wieder einmal als Prellbock für den sich zunehmend verschlossener zeigenden Freund erweist und ihm die zwischenmenschlichen Unerfreulichkeiten vom Leib hält. Dass auch Schumacher sich abreagieren muss, zeigt eine Passage aus einem Brief an Bessel. Gauß sei «a queer sort of a fellow und etwas mehr Egoist, als zum angenehmen Umgang nöthig ist, aber dabei streng rechtlich und aller niederen Kniffe und Winkelzüge unfähig» [Rep].
Im September 1837 begegnen sich Humboldt und Gauß während der Hundertjahrfeier der Universität Göttingen. Humboldt zeigt sich irritiert, dass der Leiter der Göttinger Sternwarte keinerlei Interesse mehr für die Astronomie aufbringt, und berichtet Bessel: «Gauß hat mich allerdings auf das Liebevollste behandelt, aber es war mir im Ganzen oft unheimlich, ihn so toto animo an den magnetischen Drähten verstrickt zu sehen … und, was bei einem so großen Geiste sonderbar ist … es ist in Gauß eine geflissentliche Isolierung auf einen Gegenstand, die das Feld der Ideen beengt, für alles andere erkältet … Eine solche willkührliche Isolierung (gleichsam Verarmung) hat auch zur Folge, dass die Besitznahme eines kleinen Raumes ausschließlich legitim erscheint, dass alles von anderen früher Gefundene urplötzlich ein Theil des Besitzstandes wird» [AAW]. Doch trotz dieser kritischen Beobachtung, die eindeutig aus eigener Erfahrung mit Gauß herrührt, sind die freundschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden wiederhergestellt. Humboldt gesteht später, er habe Gauß anfangs als «gletscherkalt» und als «illiberal reizbaren Charakter» empfunden. Dennoch entwickelt sich eine überaus herzliche Beziehung zwischen den beiden so unterschiedlichen Temperamenten.
Inzwischen setzt Gauß einen verbesserten Apparat ein, der empfindlicher ist als die zuvor eingesetzten Hilfsmittel. Jetzt kann die Intensität der Erdmagnetkraft «so scharf beobachtet werden wie die Sterne am Himmel» [GauXI,2: 53]. Der Magnetstab ist statt an einem Faden jetzt an zwei Fäden aufgehängt. Außerdem ist er von einer Dämpferspule aus 25 Pfund Kupfer umgeben, die für eine schnellere Beruhigung der Schwingungen sorgt. Da das magnetische Drehmoment – Gauß nennt es «Direktionskraft» – der Länge der Fäden umgekehrt proportional und dem Quadrat ihres Abstands zueinander direkt proportional ist, lassen sich die einwirkenden Kräfte präziser messen. Bei der Drehung des Magneten wird die Bewegung auf die beiden Fäden übertragen. Die Schwankungen bei den Abweichungen der Magnetnadel vom geographischen Nordpol werden jetzt im zehnfach vergrößerten Maßstab angezeigt. Das neue, mit astronomischer Genauigkeit messende Gerät lässt sich auch als besseres Instrument zur Messung der Elektrizität benutzen. Und beim Telegraphieren erweist sich die Kupferdämpfung erst so richtig als Vorteil. Denn nun lassen sich die Pausen zwischen den Stromstößen noch kürzer gestalten. Die Ablenkungen des Stabs nach links oder rechts – die in Zweier-, Dreier- und Viererkombinationen je einen Buchstaben ergeben – werden also wesentlich deutlicher unterscheidbar. So erreichen Gauß und Weber mittlerweile eine Übertragungsgeschwindigkeit von neun Buchstaben pro Minute.
Das Empfangsgerät besteht aus einem horizontal aufgehängten Magnetstab, der von einem mit Draht umwickelten Holzrahmen, dem Multiplikator, umgeben ist. An einem Ende des Magneten ist mit Draht ein kleiner runder Spiegel vertikal ausgerichtet. Er bewegt sich mit den Zuckungen des Magneten nach links oder rechts. Über ein Fernrohr, das auf einem Holzstativ angebracht ist, beobachtet der Empfänger der Nachricht die Auslenkung der Magnetspitze. Das Sendegerät oder der «Zeichengeber» ist eine verbesserte Version des ursprünglichen Induktionsschemels mit den zwei fünfundzwanzigpfündigen Magnetstäben. Die Spule lässt sich jetzt über zwei Wippen mit kugelförmigen Handgriffen auf und ab bewegen und die Stromrichtung wesentlich bequemer als zuvor in Sekundenschnelle ändern. Und auf diesem Entwicklungsstand bleibt der Gauß-Weber-Telegraph dann auch stehen.
1839 veröffentlicht Gauß Die allgemeine Theorie des Erdmagnetismus . Er teilt die erdmagnetische Kraft in «drei partielle Intensitäten» ein: die ganze Kraft, die Neigung und die Abweichung. Dabei geht er von der Vorstellung aus, dass die Ursache des
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