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Gauß: Eine Biographie (German Edition)

Gauß: Eine Biographie (German Edition)

Titel: Gauß: Eine Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hubert Mania
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vergleichen wäre». Denselben Brief vom 29. April 1838 schließt er mit den Worten: «Ewald wird vermutlich in wenigen Tagen von London zurückkommen. In etwa 14 Tagen werde ich dann meine Tochter verlieren, vielleicht um sie in diesem Leben nicht wiederzusehen» [Olb2: 684]. Wilhelm Weber bleibt, wie er es Gauß versprochen hat, noch vier Jahre ohne Anstellung in Göttingen. Er wird, wie die anderen sechs Aufrechten ebenfalls, von einem in Leipzig spontan gegründeten Freundeskreis finanziell unterstützt. Er gibt zwar noch bis 1841 gemeinsam mit Gauß den letzten Jahresband des Magnetischen Vereins heraus, aber eine echte Zusammenarbeit wie in den glücklichen 1830er Jahren ist nicht mehr möglich.
    Auf internationaler Ebene führen die Seemächte, vor allem die Engländer, die Beobachtungen des Magnetischen Vereins fort, weil eine bessere Kenntnis des Erdmagnetismus für die Schifffahrt von großer Bedeutung ist. 1842 siedelt Wilhelm Weber nach Leipzig über, wo er als Nachfolger Fechners das Physikordinariat übernimmt.
    Im Mai 1839 beendet Dorothea Gauß ihr «dornenreiches Leben» im 96. Lebensjahr. Am 2. März 1840 stirbt Wilhelm Olbers. Eine vier Jahrzehnte währende epochale Freundschaft ist zu Ende. Bis zuletzt ist der Greis für den 63-Jährigen da gewesen. In seinem letzten Brief noch ist er der Bitte von Gauß nachgekommen und hat sich über die verschiedenen Möglichkeiten informiert, 4000 Reichstaler nach Amerika zu überweisen. Eugen soll nun doch drei Jahre früher als geplant sein mütterliches Erbe ausgezahlt bekommen. Wilhelm hat seinen Vater von Eugens «gesetztem Wesen» überzeugt.
    Minna Ewald wird in Süddeutschland nie heimisch werden. Sie stirbt, fünf Monate nach dem Tod ihres Paten Wilhelm Olbers, am 12. August 1840 mit 32 Jahren in Tübingen an Tuberkulose, ohne ihren Vater wiedergesehen zu haben. Minnas Tod bricht ihm das Herz. Sie soll das Ebenbild seiner ersten Frau Johanna gewesen sein und ihn stets an sie erinnert haben. Gauß selbst ahnt immerhin, dass es ihm mit einer etwas sonnigeren «Gemüthsverfassung» womöglich leichter gefallen wäre, sein eigenes Schicksal freundlicher zu betrachten. Aber: «Der Schöpfer unserer Existenz hat sie uns mitgegeben und wir vermögen wenig daran zu ändern». Und so diktiert ihm wohl wieder die Schwermut ein Resümee, das er im Jahr der Märzrevolution als Siebzigjähriger seinem alten Freund nach Siebenbürgen schickt: «Es ist wahr, mein Leben ist mit Vielem geschmückt gewesen, was die Welt für beneidenswerth hält. Aber glaube mir, lieber Bolyai, die herben Seiten des Lebens, wenigstens die meinigen, die sich wie der rothe Faden dadurch ziehen, und denen man im höhern Alter immer wehrloser gegenüber steht, werden nicht zum hundertsten Theile aufgewogen von dem Erfreulichen» [Bol: 132].

12. Abschied von der Welt
    Das neue Göttinger Bahnhofsgebäude besteht aus einer großen Eingangshalle, flankiert von zwei kleineren Pavillons, die durch niedrige Flügelbauten an das Hauptgebäude anschließen. Die weiße Außenwandfarbe riecht noch frisch. Von den Dächern wehen, weithin sichtbar, meterlange, bunte Wimpel. Ein prächtiges Eichenlaubgewinde ziert das Eingangsportal, während die Fensterrahmen mit Girlanden aus Tannengrün geschmückt sind. Auf dem Vorplatz drängen sich Hunderte von Menschen in ihrer Festtagsgarderobe. Die Damen tragen ihre Sonntagskleider mit Puffärmeln und Schulterkragen, die Herren sind vornehmlich in Frack oder Gehrock, mit Zylinder und Spazierstock unterwegs. Auch die meisten Kinder sind herausgeputzt und schwenken in gespannter Erwartung bunte Fähnchen. Auf beiden Seiten der zum Bahnhof führenden Allee stehen Abordnungen studentischer Verbindungen in festlicher Tracht und mit dreifarbigen Schärpen. Gemeinsam mit den Mitgliedern der Bürgerwehr bilden sie ein Spalier für die Ehrengäste, die in wenigen Minuten eintreffen müssten. An der Spitze und am Ende der organisierten Menschenansammlung wartet jeweils ein Spielmannszug in husarenroten und schützengrünen Uniformen in Reih und Glied auf ein Kommando zum Aufspielen mit Landsknechttrommeln und Fanfaren. Ein wenig abseits vom Bahnhof, in der Nähe der Festzelte, übt hinter einem Pferdefuhrwerk mit einer Ladung Bierfässern ein Männergesangsverein ein letztes Mal sotto voce das Lied «Mein Lebenslauf ist Lieb und Lust», das heute erstmals vierstimmig vorgetragen werden soll. Zwei Soldaten in Paradeuniform bewachen den Eingang zum Hauptfestzelt, wo

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