Gauts Geister 6 - Tödliche Mission
zu beschäftigen, doch das Grollen
lenkte zu sehr ab. Gegen 14:00 Uhr ging er in eine der Pensionen, um zu essen.
Die matronenhafte Besitzerin warf ihm einen seltsamen Blick zu, als er Rühreier
bestellte. Erst bei deren Eintreffen fiel ihm wieder ein, dass er bereits vor
einer Stunde zu Mittag gegessen hatte, und zwar Rühreier.
Er erwog, Zweil aufzusuchen. Der Kaplan der Einheit war
manchmal eine erfrischende Gesellschaft und gut darin, einen mit
provozierenden Gesprächen abzulenken. Doch man sagte ihm, Zweil sei an diesem
Morgen mit Gaunt zur Front gegangen, als habe er gewusst, dass er heute
gebraucht würde.
Stattdessen machte Daur einen Rundgang durch die
Quartiere.
Die Geister hatten die Stallungen und Scheunen von zwei
Gehöften im Süden der Stadt bezogen, und was dort nicht mehr hineinpasste,
lagerte in einem Meer aus Zelten auf den Wiesen dahinter. An die Wiesen schloss
sich eine alte Gerberei an, die von einer Kompanie Krassier belegt war, und
dazu ein kleines V aus verfallenen Geschäften und Häusern an der Kreuzung der
beiden Straßen im Süden, in dem eine der hiesigen Brigaden einquartiert war,
die Zwölfte Ostlund, auch die »Beschützer« genannt.
Daur wanderte in einen der schlammigen Höfe einer der
Stallungen. Burone, Bray und Ewler hatten die längliche Scheune auf der linken
Seite für ihre Trupps genommen. Wegen des leichten Regens deprimiert,
lungerten die Männer größtenteils nur wie Kriegsgefangene in einer Gemeinschaftsbaracke
herum. Daur sah die glühenden Spitzen brennender Lho-Stäbchen im Schatten der
Dachbodenluken. Unter dem schrägen Dach eines Unterstands versuchte Pollo aus
dem Siebten Trupp einer kleinen Zuschauermenge Kartentricks beizubringen. Pollo
war auf Verghast Leibwächter für ein Adelshaus gewesen, und seine Nerven wurden
durch außergewöhnlich teure Neuralverstärker unterstützt, so dass seine Finger
die Karten schneller teilten und ausbreiteten, als das Auge folgen konnte. Es
war wie eine Zaubervorstellung, und die Männer rings um ihn waren fasziniert.
Daur sah eine Weile zu, bis Pollo sein Repertoire an Kartentricks erschöpft
hatte und stattdessen drei Becher und eine Granathülse hervorholte. Sein
Publikum stöhnte.
»Wer will es versuchen?«, fragte Pollo, während seine
Hände die umgedrehten Becher so schnell kreisen ließen, dass sie nur noch schemenhaft
zu sehen waren. Er sah Daur und zwinkerte ihm zu.
»Sie, Herr Hauptmann?«
Daur lächelte. »Sehen Sie meine Rangabzeichen, Soldat Pollo?
Die habe ich, weil ich schlau bin. Nein, danke.«
Pollo grinste. »Ihr Schaden.«
»Das glaube ich kaum«, sagte Daur und wanderte weiter. Am
hinteren Ende des Hofs traten Haller und einige Krassier gegen einen Ball. Es
war ein lebendiges, schlammiges Spiel. Noa Vadim lief die Krassier schwindlig,
und seine Truppkameraden feuerten ihn an. Daur war sicher, dass sie in
Wirklichkeit schrien und johlten, um den entfernten Donner der Schlacht zu
übertönen.
Daur hörte das leise Zischen von Niedrigenergieschüssen
aus einem der Ställe und ging nachsehen. Er fand dort Soldat Merrt, der
Zielübungen auf alte Flaschen veranstaltete, die auf Querbalken in der Wand
standen.
Bei Dauers Auftauchen schaute Merrt auf. »Verzeihung, Herr
Hauptmann«, sagte er. »Ich gn... gn... übe nur. Ich hab's auf gn... gn...
Niedrigenergie eingestellt.« Er schaute ein wenig verschämt drein, obwohl sich
das nur schwer sagen ließ. Merrts Kiefer und eine Gesichtshälfte waren
primitive Metallimplantate, die von einer hautfarbenen Maske nur schlecht
verhüllt wurden. Daur wusste, warum er übte. Merrt nutzte jede Gelegenheit zum
Üben, die sich ihm bot. Er war Tanither und ursprünglich einer der
Scharfschützen des Regiments mit einer Trefferquote, die zwar niedriger als
Larkins, aber dennoch beeindruckend war. Auf Monthax hatte er dann eine
furchtbare Kopfwunde erlitten, und seitdem konnte er nicht mehr richtig
zielen. Gaunt hatte ihn noch eine Weile bei den Scharfschützen gelassen — laut
Hark zu lange —, aber aufgrund von Merrts Erfolglosigkeit auf Phantine hatte
sich Gaunt schließlich widerstrebend in der Pflicht gesehen, ihn wieder in die
Reihen der gemeinen Soldaten zurückzuversetzen.
Daur wusste, dass Merrt seinen Statusverlust noch mehr
hasste als den Verlust seines Gesichts. Merrt übte und übte und mühte sich,
seine Zielsicherheit wiederzufinden und damit seine Scharfschützenkordel
zurückzugewinnen.
»Wie geht es denn voran?«, fragte Daur.
Merrt zuckte die
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