Gebieter der Dunkelheit
weiße Shorts und ein schwarzes Träger-Shirt anzog, spürte sie wieder das Ziehen zwischen ihren Beinen. Muskelkater! Er erinnerte sie bei jeder Bewegung an die Zügellosigkeit der letzten Nacht – und an Samuel.
Was tat sie nur? Sie dachte unentwegt an ihn, dabei sollte sie in San Francisco bei Cheng sein. Doch anstatt sich in ihren Wagen zu setzen und nach Hause zu fahren, wollte sie zum Racoon Creek spazieren, um sich im Wasser abzukühlen und nachzudenken. Mit einem Badetuch über dem Arm trat sie in den Flur.
»Mist«, hörte sie jemanden fluchen. Etwas fiel polternd zu Boden.
Naomi ging zu der einzigen Tür, die offen stand und spähte hinein. »Ist alles in Ordnung, Tante Carol?«
Augenblicklich lief Carol rot an. Einige Videokassetten lagen auf dem Boden vor ihr zerstreut. »Alles bestens. Du brauchst mir nicht zu helfen«, beeilte sie sich zu sagen und räumte die Kassetten zurück in den TV-Schrank, vor dem sie hockte. Einige Polaroidfotos rutschten aus einer der Hüllen und verteilten sich vor ihr auf dem Teppich.
War das ein Delfin? Er sah irgendwie komisch aus. Naomi reckte ihren Hals, aber bevor sie Näheres erkennen konnte, hatte Carol die Fotos schon aufgehoben und zurückgesteckt. Carol schloss den Schrank so schwungvoll, dass es einen lauten Knall gab und beide Frauen zusammenzuckten.
Entschuldigend zuckte ihre Tante mit den Schultern. Eilig rappelte sie sich auf und führte Naomi aus dem Zimmer heraus. Sie zog die Tür hastig zu, richtete ihre Frisur und strich mehrfach über ihren knielangen Rock. »Ich habe nur etwas gesucht, aber es war nicht dort, wo ich es vermutet hatte. Hast du schon gefrühstückt?« Carol schob sie förmlich in Richtung Treppe.
Naomi hob ihre Augenbrauen und sah ihre Tante irritiert an. So nervös hatte sie Carol selten erlebt. »Ich bin auf dem Weg zum Racoon.« Zum Beweis hob sie das Badetuch hoch. Aus dem Augenwinkel bemerkte sie, dass Carol den Zimmerschlüssel hatte stecken lassen und deutete zurück.
Doch ihre Tante missverstand und drängte sie unnachgiebig die Treppe hinunter ins Erdgeschoss. »Mach dir keine Sorgen, ich finde … es schon noch. Geh ruhig schwimmen und genieße den Tag.« Bevor Naomi etwas erwidern konnte, verschwand Carol in den kleinen Garten, der sich hinter dem Haus befand.
»Was war das?« Kopfschüttelnd schaute sie ihrer Tante hinterher. Lizzy würde den Schlüssel schon entdecken. Wenn der Raum bis dahin aufstand, war das nicht weiter schlimm.
Als Naomi ins Freie trat, schlug ihr die Hitze entgegen. Wie heiß mochte es sein? Sechsunddreißig Grad? Und das am Vormittag. Wahrscheinlich brachten die hohen Temperaturen Carol durcheinander. Kopfschüttelnd ging Naomi durch die Reihen mit Weinreben, zuerst schnell, dann zunehmend langsamer, und wunderte sich, dass es noch Menschen gab, die Videos besaßen. Aber Carol und Bill waren nicht mehr die Jüngsten, und die Kassetten mussten noch aus vergangenen Zeiten stammen. Traf das auch auf die Fotos zu? Im Pazifik gab es natürlich Delfine, aber sie von der Küste aus zu sehen, war eher ungewöhnlich und kam selten vor. Außerdem musste man sehr nah dran sein, um den Delfin so gut erkennbar zu fotografieren, wie es auf dem Polaroid der Fall war. Naomi konnte sich jedoch nicht daran erinnern, dass Carol und Bill jemals in Urlaub gefahren wären oder eine Bootstour entlang der Pazifikküste gemacht hätten. Für gewöhnlich mieden sie Touristenattraktionen.
Als sie am Racoon Creek ankam, war sie schweißgebadet. Sie entkleidete sich und stieg seufzend ins glasklare Wasser. Wie gut es tat, vom kühlen Nass umschmeichelt zu werden! Für den Moment spürte sie nicht einmal mehr den Muskelkater. Augenblicklich kehrte die Reue zurück. Nein, das stimmte nicht ganz, sie bereute nichts, aber die Schuldgefühle waren genau deshalb umso erdrückender, denn letzte Nacht hatte sie nicht nur den Sex genossen, sondern Samuel mit Haut und Haaren begehrt.
Kurz tauchte Naomi unter und wischte sich dann mit beiden Händen die Wassertropfen aus dem Gesicht. Sie gehörte nicht hierher, nicht auf Maroon und nicht zu Sam. Ein Teil von ihr gab ihm die Schuld, schließlich zwang er sie dazu, sich ihr hinzugeben. Für ihn gehörte der Sex nur zu ihrem Handel. Doch für Naomi waren ihre Treffen mehr als das.
Sie ließ ihre Hand durch das Wasser gleiten und beobachtete die sanften Wellen, die entstanden. Die Sessions führten sie in einen neuen Kosmos der Lust ein, ohne Entbehrungen, dafür voller
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