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Gebieter der Dunkelheit

Gebieter der Dunkelheit

Titel: Gebieter der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Henke
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ansehen, nur um länger zusammen zu sein.
    Naomi und Sam ersparten es sich allerdings, in den Souvenirladen, der sich im Erdgeschoss befand, zu gehen. Als die Hitze zunahm, da die Sonne immer höher stieg und im Landesinneren die Meeresbrise fehlte, entschieden sie schweren Herzens, sich auf den Heimweg zu machen.
    Samuel ließ sich auf der Rückfahrt Zeit und fuhr langsam durch die Gärten aus Weinreben und Obstplantagen. Naomi kannte das Napa Valley von Kindesbeinen an, aber dieser grüne Flecken Erde hatte noch nie so schön ausgesehen. Jedoch wusste sie, nicht das Tal hatte sich verändert, sondern sie selbst, denn heute betrachtete sie es mit den Augen einer verliebten Frau.
    Es ging schon auf Mittag zu, als sie auf Maroon ankamen. Zuerst war niemand zu sehen. Alle schienen sich vor der Sonne in die Gebäude geflüchtet zu haben. Doch dann erspähte Naomi aus der Ferne zwei Personen, die vor dem Haupthaus standen. Rosamar stand auf der Treppenstufe im Eingang und plauderte mit einem Mann, scheinbar ein Besucher, denn ein Wagen parkte auf dem Vorplatz. Ein Auto, das Naomi bei näherer Betrachtung bekannt vorkam – ein silbermetallic farbener Lincoln. Auch der blaukarierte Anglerhut, den der Mann trug. Sie hatte die Kopfbedeckung schon immer furchtbar gefunden. Schlagartig war ihr übel. Vor Nervosität verschluckte sie sich und musste husten. Je näher sie kamen, desto mehr schwitzte sie. Sie wischte ihre Handflächen an ihrem Kleid ab und spürte, wie ihre Wangen brannten.
    Ahnungslos hielt Samuel vor dem Haus. Bevor er sie zum Abschied küssen konnte, sprang Naomi aus dem SUV und wäre beinahe gestolpert, da sich ihre Schuhe im Saum verhedderten.
    Cheng fing sie gerade noch rechtzeitig auf und drückte sie an sich. »Ich habe es nicht mehr ohne dich ausgehalten.«
    Völlig durcheinander hing Naomi in seinen Armen. Ihr war elend zumute. Sie fühlte sich überrumpelt und ertappt – von beiden Männern.
    Rosamar lächelte sie an, als wollte sie sagen: »Jetzt ist ja wieder alles gut«, und verschwand im Inneren des Hauses.
    Nachdem Cheng sie losgelassen hatte, warf er Sam, der inzwischen neben der Fahrertür stand und seltsam blass um die Nase aussah, einen bitterbösen Blick zu. »Ich dachte, du brauchst Zeit für dich. Und nur für dich.«
    »Samuel ist Carols und Bills Gast. Ich …«, sie musste urplötzlich dringend das WC aufsuchen. »Ich habe ihm geholfen, einige, sagen wir mal, Besorgungen zu machen. Er kennt sich in der Stadt, in St. Helena, nicht aus. Und die beiden, Carol und Bill meine ich, hatten keine Zeit. Da habe ich mich angeboten.«
    Samuel kam um das Heck seines Geländewagens herum und reichte ihr den Karton, in dem sich Korsett, Strapse und High Heels befanden. »Ich danke Ihnen für Ihre freundliche Hilfe, Miss Coffin. Die Gespräche mit Ihnen waren sehr anregend. Einen schönen Tag noch.«
    Am liebsten wäre Naomi im Erdboden versunken. Sie starrte den Karton entsetzt an, als wäre eine Bombe darin versteckt. Im übertragenen Sinn traf es das sogar, denn sollte Cheng jemals erfahren, was sich darin befand, würde er explodieren.
    Als Naomi Sam, der den Weg zum Gästehaus hinauffuhr, hinterherschaute, kam sie sich vor wie eine Verräterin. Nie hatte sie auch nur den Gedanken erwogen, ihn darüber aufzuklären, dass sie in festen Händen war. Absichtlich, wie ihr erst jetzt bewusst wurde.
    Vermutlich hätte Naomi seine Erpressung mit dieser Information stoppen können, wie eine Session mit einem Safeword.
    Aber sie hatte es gar nicht gewollt.

21
    Journaleintrag Samuel McAvoy, Freitag, 6. Juli, 13:15 p.m.
    Seit über einer Stunde streife ich durch das Gästehaus und komme mir so hilflos vor wie sonst nur meine Lustdienerinnen. Nur dass dies keine erregende Session ist, sondern ich in der Realität gefangen bin. Die Wahrheit ist viel grausamer, als ich es je sein könnte.
    Naomi hat einen Freund.
    Und sie hat ihn verschwiegen.
    Was soll ich davon halten? Hat sie die ganze Zeit mit mir gespielt? Oder hat sie ihn nicht erwähnt, weil er ihr nichts bedeutet? Hätte ich von ihm gewusst, wäre sie mit dem größten aller Tabus besetzt gewesen. Ich hätte sie nicht angerührt, ich schwöre es!
    Sie kommt mir vor wie der Wolf im Schafspelz, wie eine Sirene aus der griechischen Mythologie, die mit ihrem bezaubernden Gesang die Kapitäne anlockte, so dass ihre Schiffe an den Felsen zerschellten.
    Meine Illusion, Naomi könnte mehr als nur das Opfer meiner Nötigung sein, nämlich die Frau, an deren

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