Gebieter der Dunkelheit
Seite ich jede Nacht einschlafen möchte, ist zerplatzt. Ich sollte abreisen. Sofort! Aber ich kann nicht, denn ich habe in ihre Augen geschaut und dieselbe Sehnsucht darin gelesen, wie sie in mir glüht.
Hör auf zu jammern, schreit es in mir, du warst die Spinne, die sich ahnungslos an der Beute eines anderen genährt hat und dadurch selbst zum Opfer wurde. Es ist meine eigene Schuld. Ich habe mit dem Feuer gespielt und drohe nun darin zu verbrennen.
Ich liebe Naomi. Jede Faser meines Körpers begehrt sie. Auch mein Herz. Vor allen Dingen mein Herz. Es ist das eines Kämpfers. So schnell gebe ich nicht auf.
Auch wenn ich ungewöhnliche Wege gehen muss.
22
Naomi schloss die Tür ihres Zimmers, schob den Karton mit den verfänglichen Kleidungsstücken unter das Bett und versuchte, die angespannte Stimmung zu lockern. Ihr Lächeln wirkte jedoch gekünstelt. »Hast du mich wirklich so sehr vermisst?« Das konnte sie kaum glauben.
Rosamar hatte spontan einen kleinen, aber feinen Brunch bereitgestellt. Jillian und Jefferson waren dazugestoßen. Durch die Plaudereien hatte das Essen zwei Stunden gedauert. Quälende zwei Stunden. Cheng hatte sich aus Höflichkeit mit den beiden unterhalten und Naomi bis auf einige böse Blicke nicht beachtet. Ihr war das recht gewesen, denn sie war völlig durcheinander. Mühsam hatte sie einen trockenen Bagle runtergewürgt und nun war ihr übel davon. Die Teilnahme am Lunch hatte Cheng eigenmächtig im Namen von ihnen beiden abgesagt.
»Was treibst du eigentlich auf Maroon?« Aufgebracht warf Cheng seine Laptoptasche auf ihr Bett. »Ich habe im Internet ein Foto von dir und diesem Typen entdeckt, auf der Website der Napa Valley News.«
»Von Sam und mir? Das kann nicht sein.« Sie schüttelte energisch den Kopf, aber etwas regte sich in ihr, sie wusste es nur noch nicht zu deuten. »Hast du mir hinterherspioniert?«
»Ich habe nach Neuigkeiten über die Maroon Winery gesucht, weil sie zu deinem Leben gehört und du gehörst zu mir, doch das scheinst du vergessen zu haben.«
»Scht«, machte sie und bat inbrünstig: »Sprich leiser.«
Cheng tat ihr den Gefallen, presste aber die Worte umso verbissener heraus. »Er hat dich begrabscht, in aller Öffentlichkeit, und du hast zugeschaut und ihn nicht abgewehrt.«
»Was redest du da?« Die gespielte Empörung nahm sie sich selbst nicht ab, denn sie hatte noch ganz andere Dinge mit Samuel vor Zuschauern gemacht. Aber auf der SM-Party in der Bodega Bay waren Fotoapparate, Kameras und Handys untersagt gewesen.
»Es war das erste Mal, dass du den Independence Day nicht mit mir gefeiert hast. Damit kann ich leben.« Cheng riss sein Laptop förmlich aus der Tasche. »Aber musste es gleich mit einem anderen Kerl sein?«
Endlich begriff Naomi. Sie hatte sich am 4. Juli mit ihrer Familie, den Angestellten und Samuel das Feuerwerk, das die Stadt St. Helena jedes Jahr zur Feier der Unabhängigkeitsunterzeichnung spendierte, angeschaut. Als ein Fotograf aufgetaucht war, hatte Sam sie in seine Arme gezogen, wodurch ihr Eiscreme auf den Busen gefallen war. Just in dem Augenblick, als Sam mit einer Serviette über ihre Bluse getupft hatte, hatte der Fotograf auf den Auslöser gedrückt. Das Foto hatte es zwar nicht in die Printausgabe der Napa Valley News geschafft, denn die Ausgabe des 5. Juli hatte Naomi vorsorglich überprüft, wohl aber auf die Homepage der größten Lokalzeitung des Tals. So etwas Blödes!
»Sam wollte mir nur helfen, weil mir ein Missgeschick passiert ist.« Eine lahme Ausrede.
»Fang bitte an, deinen Koffer zu packen. In einer Stunde fahren wir nach Hause.«
Chengs Ton missfiel ihr gewaltig! »In einer Stunde?«
Alles, woran sie denken konnte, war, dass sie Sam nie wiedersehen würde. Ihre Hand krampfte sich um die Karte, die sie in der Tasche ihres Kleids trug. Während Cheng nach dem Brunch sein Laptop aus dem Wagen geholt hatte, hatte Sandro ihr eine kleine auberginefarbene Klappkarte in die Hand gedrückt, bevor er kichernd in den Garten verschwand. Naomi hatte sie heimlich im WC gelesen. Es war eine Botschaft von Sam. Eine Einladung, um den letzten Enthüllungstext zu löschen, ein Kapitel, das Naomi völlig übersehen hatte – ihr Eigenes!
Sie musste Samuel noch einmal treffen, daran führte kein Weg vorbei. Immerhin hatte er sie in der Hand und es waren noch nicht alle Dinge geklärt. Das war aber nur die halbe Wahrheit. Sie fühlte sich wie eine Süchtige, die den Entzug auf sich zukommen sah. Ein letztes
Weitere Kostenlose Bücher