Gebieter des Sturms (German Edition)
stand vielleicht nicht gerade weit oben auf irgendeiner Liste von Staatsaffären, aber auf der Liste der Dinge, die sie übel nahm, stand es ganz weit oben.
Sie ging ins Bad, schloss die Tür und drehte die Dusche auf. Als das Wasser warm war, zog sie den pfirsichfarbenen Hausanzug aus und stieg in die Wanne. Sie dehnte und streckte sich unter dem dampfenden Wasserfall. Es war ein unbeschreibliches Gefühl, sich ohne Schmerzen bewegen zu können. Beinahe wäre sie Carling dankbar gewesen, wenn diese sie nicht fast zu Tode erschreckt hätte, als sie sich – zusammen mit all ihren Leuten – gegen Tiago gestellt hatte.
Niniane kannte sich selbst ziemlich gut. Sie las die Zeitschriften Elle und People , nicht die New York Times oder das Wall Street Journal . Sie hatte ein halbes Dutzend Lippenstifte in ihrer Handtasche, alle in verschiedenen Rosatönen. Sie liebte hübsche Klamotten, Schokoladentrüffel und einen guten Pinot Noir. Das Einzige, was sie dafür qualifizierte, der Kopf irgendeines Staates zu sein, war ihre genetische Ausstattung, nicht etwa ihre Designerausstattung. Würden die Dunklen Fae eine Regierungsbeamtenprüfung für die Stelle des Monarchen einführen, hätte sie selbst bei festgelegter Notenverteilung keine Chance, sich zu qualifizieren. Sie war beim besten Willen keine gewichtige Fee, aber effizient. Ihre Gedanken hatten nicht länger als zwei Minuten gebraucht, um wieder zum Objekt ihrer Besessenheit zurückzugaloppieren.
So wird es sein, hatte er gesagt. Mit diesen simplen Worten und einem einzigen Kuss hatte er ihr ganzes Sendungsbewusstsein und alles, was sie über sich gewusst zu haben glaubte, wie partybuntes Seidenpapier zerfetzt.
Sie drückte einen Klecks nach Flieder duftendes Shampoo in ihre Handfläche. Während sie es in ihr feines schwarzes Haar einmassierte, gestattete sie sich eine Vorstellung davon, was geschehen würde, wenn sie bei der anstehenden Besprechung verkündete, dass sie den Thron der Dunklen Fae nicht einnehmen würde. Das wäre auch eine Möglichkeit. Sie könnte einfach alles stehen und liegen lassen, um mit diesem Mann zusammen zu sein. So übermächtig war die rasende Leidenschaft, die er in ihr auslöste.
Was wäre das Ergebnis?
Jemand anders würde König oder Königin der Dunklen Fae werden. Zur Hölle, nach allem, was sie wusste, würde es jemand sein, der wesentlich besser qualifiziert war als sie. Aber niemand, der dem Thron näherstand. Es gab niemanden, der ihm näherstand. Dieser Thron hatte ihr ganzes Leben lang seinen Schatten auf sie geworfen. Wer auch immer an ihrer Stelle Monarch wurde, er würde immer wissen, dass sie da draußen in der Welt war, die wahre Erbin mit einem unerschütterlichen Anspruch. Es würde alles unterminieren, was er zu tun versuchte. Sobald seine Fähigkeiten zum ersten Mal auf die Probe gestellt würden, sobald es zur ersten Regierungskrise käme, würde ihn das in seinen Grundfesten erschüttern.
Das Klügste für einen fähigen Herrscher wäre es, seine Macht zu festigen und sich der Bedrohung zu entledigen, aber das wusste sie bereits. Die Anschläge auf ihr Leben würden nicht aufhören, wenn sie wegging. Aber würde es ihr etwas anderes bringen?
Sie sackte gegen die Wand. Nein.
So wird es sein. Mit diesen Worten hatte Tiago seine Absicht ausgedrückt, sie zu seiner Geliebten zu nehmen. Sie könnte mit ihm zurück nach New York gehen. Sie konnte daran arbeiten, möglichst viel aus der gemeinsamen Zeit zu machen, die ihnen blieb – aber früher oder später würde Tiago wieder Dragos’ Soldaten anführen und sein kriegerisches Nomadenleben fortsetzen.
Sie könnte mit ihm gehen, wenn er es zuließe, aber der Gedanke daran ließ sie erschaudern. Sie, die einfältige Frau mit ihren Modezeitschriften, ihrem Make-up und rosa Lippenstiften, hochhackigen Schuhen und Handtaschen. Früher oder später würde er anfangen, sich über sie zu ärgern, oder noch schlimmer, er würde ihr gegenüber Ungeduld, Verachtung und Langeweile empfinden. Selbst wenn sie ihr Erbe aufgab und alles hinter sich ließ, konnte sie nur auf eine kurze Zeit mit ihm hoffen.
Also würde sie ihren Kurs beibehalten – nicht wegen ihrer Überzeugungen, die hatte Tiago nämlich zerstört. Sie würde auf ihrem Kurs bleiben, weil es sonst nichts gab, was sie tun konnte. Vor ein paar Tagen hatte sie sich auf einen einsamen Weg ohne Wiederkehr begeben. Sie würde eine gütige Monarchin sein, wenn schon keine besonders qualifizierte oder begabte. Das
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