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Gebissen

Gebissen

Titel: Gebissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Koch
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recherchieren«, erwiderte Alex brummig, weil ihm Salles lockerer Tonfall auf die Nerven ging.
    »Natürlich. So war es ja auch nicht gemeint. Hab nur Spaß gemacht. Natürlich darfst du so gründlich arbeiten, wie du willst.«
    »Und weshalb gerade dieses Thema?« Alex rieb sich nebenbei den letzten Schlaf aus den Augen und rührte im Kaffee. An Silvester hatte er sich geschworen, nie wieder unüberlegt einen Auftrag anzunehmen, egal, wie lukrativ er auf den ersten Blick erschien.
    »Wegen der Geschichte in Schöneberg. Wir wollen in der Wochenendausgabe ein bisschen Hintergrund liefern, es nicht bei den Schlagzeilen der Boulevard-Kollegen belassen.«
    »Das war diese blutige Ritualgeschichte? Wo die junge Frau nackt auf den Wohnzimmertisch gefesselt wurde, weil die Spinner keinen Altarstein hatten?«
    »So ungefähr.«
    »Und jetzt willst du von mir einen Artikel, der belegt, dass das Ganze kein Einzelfall, sondern der Satanismus eine ganze Jugendbewegung oder zumindest Teil einer bestimmten Subkultur ist. In diesem Fall der Gothic-Szene, nicht der Black-Metal-Szene.«
    »So in etwa, ja.« Salle klang zögernd, wahrscheinlich konnte er mit dem Begriff Black Metal nichts anfangen.
    »Was ist mit Fotos?« Alex versuchte, möglichst beiläufig zu klingen. »Soll ich da auch welche von ein paar scharfen Gothic-Chicks liefern, die wenig anhaben und gefährlich posieren?«
    »Danke, haben wir schon.«
    »Dachte ich mir.« Alex lachte. »Jetzt aber mal im Ernst, weshalb rufst du an? Der Artikel ist doch ein Scherz, oder?«
    »Nein, kein Scherz. Ich ruf wegen des Artikels an. Ehrlich.«
    »Komm schon, Salle, du kannst doch nicht erwarten, dass ich ein paar alte 8oer-Jahre-Klischees ausgrabe und Gothics als Buhmänner darstelle, damit ihr Bilder von halbnackten Mädels abdrucken könnt. Gerade hast du gesagt, ihr wollt euch von den Boulevard-Schmierern abheben.«
    »Mach mal halblang. Die Satanisten von Schöneberg waren nun mal Gothics.«
    »Mag sein. Aber ihr Opfer auch. Und du willst von mir keinen Artikel über die Gothics der letzten zwanzig Jahre, die Opfer von Satanisten wurden.«
    »Alex, du weißt, dass das Unsinn ist ...« Trotzdem klang Salle irritiert.
    »Ja. Genau wie der Satanisten-Artikel. Du erstellst ja auch keine Liste von Giftmörderinnen, die Tina Turner hören. Ich schreib dir aber gern was über den konkreten Fall in Schöneberg, wenn du mir ein wenig Zeit gibst, mich da einzuarbeiten.«
    »Tut mir leid, da sitzt schon wer dran.« Allzu bedauernd klang es nicht. »Ich dachte einfach, du könntest den Auftrag und das Geld gut gebrauchen.«
    »Ja, kann ich. Du weißt, dass ich dankbar für Aufträge bin. Aber doch nicht so was!«
    »Ach, komm schon. Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Niemand nimmt einen solchen Artikel richtig ernst.«
    »Warum druckt ihr ihn dann? Welchen Sinn haben Artikel, die niemand ernst nimmt? Ich denke, du bist Journalist und nicht Rahmenschreiber für Nacktbilder.«
    »Mensch, Alex, mach doch jetzt keine Grundsatzdiskussion daraus. Es geht hier nicht um Weltpolitik. Die Leute wollen das, und ich hab Kinder zu ernähren.«
    »Welche Leute wollen das? Werd’ doch mal konkret.«
    »Willst du jetzt den Artikel oder nicht?«, fragte Salle scharf.
    »Nein. Ich will, dass man meine Artikel ernst nimmt! Wenigstens mein Redakteur!«
    »Ich nehm dich ernst, verdammt, und das weißt du! Ich wusste nur nicht, dass du so ein Prinzipienreiter bist. Ich dachte einfach, du brauchst Geld.«
    Zwei Sekunden lang sagte niemand etwas, und Alex fragte sich, warum die ganze Welt dachte, dass er Geld brauche. Seit zwei Jahren schon zahlte er seine Miete pünktlich.
    »Sorry«, entschuldigte er sich. »Ich bin erst bei der ersten Tasse Kaffee, und du weißt, was für ein Morgenmuffel ich bin. Und meine Mutter hat auch schon angerufen.«
    »Schon okay. Ich melde mich einfach wieder, wenn ich was anderes hab. Frühstück noch schön.«
    »Danke.« Alex verkniff sich gerade noch die jahrelang üblichen Grüße an Birgit und legte auf. Von Salle würde er trotz der letzten Beteuerung wohl eine Weile nichts mehr hören.
    Natürlich hätte er gegen das Geld nichts einzuwenden gehabt, und jetzt schrieb irgendwer den Artikel, vielleicht ein ahnungsloser Praktikant, der alle Klischees und Details reißerisch und mit gespielter Betroffenheit ausschlachtete, der weder Satanismus noch Gothic differenziert betrachtete. Wahrscheinlich interessierte es in drei Wochen tatsächlich niemanden

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