Gebissen
ich.«
»Und pass auf dich auf.«
Er beendete das Gespräch, atmete durch und starrte ein paar Sekunden auf seine CD-Regale, die von Schwarz dominiert wurden. Viel Gothic, Postpunk, Darkwave, EBM, Punk, melancholischer Hardcore und auch düsterer Metal aus den 8oern und 9oern, dazu all die Promoscheiben, die er zu Rezensionszwecken zugesandt bekommen hatte. Kurz dachte er daran, Shock Therapys Knaller Pain einzulegen, aber das Album war nicht an seinem Platz, und sich durch die hohen Stapel neben der Anlage zu wühlen, hatte Alex keine Lust.
»But I’m not one of you, I’ll never be one of you«, murmelte er Passagen des Songs vor sich hin und schlurfte in die Küche. Die Bierflasche nahm er mit und stellte sie zu den anderen neben die Spüle, auf der sich das Geschirr von zwei Tagen stapelte. »A new day is upon me. A new day is upon me. I won’t ever let this pain control me! I won’t ever let this pain control me! I won’t ever let this pain control me! I won’t ever let this pain control me!«
Langsam zog er die Jalousie einen Spalt hoch, nicht weiter, es war einfach zu hell draußen, trotz Erdgeschoss und Hinterhof. Er warf die Kaffeemaschine an und schaltete das Radio ein, den alternativen Sender motor fm; gerade liefen die 13-Uhr-Nachrichten. Irgendwo auf der Welt war wieder was explodiert, acht Tote und zwei Dutzend Verletzte. Und aus einem Berliner Krankenhaus waren zahlreiche Blutkonserven entwendet worden, ein Zivildienstleistender und eine junge Krankenschwester wurden der Tat verdächtigt. Von den Konserven fehlte jedoch noch jede Spur, die beiden bestritten die Tat.
»Verrückte Welt«, brummte Alex, während er nach dem Zucker suchte und der Sprecher im Radio zu Blutspenden aufrief, um die Vorräte wieder aufzufüllen. Anschließend erzählte er was von Sonnenschein in den nächsten Tagen, und endlich kam Musik. Netter Britpop, der vor sich hinplätscherte und niemandem etwas tat. Alex hatte den Zucker gefunden und schaufelte drei Löffel in den großen schwarzen Pott Kaffee. Keine Milch. Dann starrte er vor sich hin und ließ den Kaffee abkühlen.
Pass auf dich auf. So beendete seine Mutter jedes Gespräch mit ihm. Ihr war Berlin noch immer unheimlich, sie vermutete überall Verbrechen und Gewalt, und zwar so viel, als wäre die ganze Stadt, der Moloch, ein Krisengebiet. Bis heute verstand sie nicht, warum er hierher gezogen war, warum er nach dem Studium geblieben und nicht wieder heimgekommen war. Als fühlte er sich in Niederbachingen zu Hause! Das tat er nirgendwo.
Selbstverständlich liebte er seine Mutter, aber es war gut, dass die ganze Republik zwischen ihnen lag. Sie wollte einfach nicht akzeptieren, dass er gern selbstständig arbeitete, keinen Chef über sich, keine Kollegen, die er Tag für Tag acht Stunden lang sehen musste, jeden Morgen dieselben Witze, jede Mittagspause denselben Kantinenfraß und heuchlerische Freundlichkeit bis in die letzte Überstunde hinein.
»Du hast Vorurteile«, erwiderte seine Mutter stets darauf. »Du hast es nie richtig ausprobiert. Es gibt auch nette Kollegen. Dein Vater arbeitet seit fünfunddreißig Jahren im selben Betrieb.«
Natürlich hatte er Vorurteile, so wie jeder Mensch, doch Vorurteile hin oder her, den Feierabend verbrachte sein Vater auf der frisch gepolsterten Couch vor dem Fernseher, um vom Stress des Tages runterzukommen. Geplagt von der Angst, bei der nächsten Stellenkürzung auch betroffen zu sein, weil er in zwei Jahren sechzig wurde und die ganze Welt nach Jugend schrie. Erfahrung war nur noch am Computer gefragt.
Seine Mutter wollte einfach nicht verstehen, dass sich Alex als selbstständiger Journalist und DJ genauso sicher fühlte wie in einer Festanstellung, aber freier. Ihr machte die Vorstellung von unregelmäßigem Verdienst zu viel Angst, doch Alex kannte es gar nicht anders.
Auch mit den Frauen war es immer dieselbe Feier. Es war ja nicht so, dass er nie jemanden kennenlernte, aber er würde sicher nicht mit seiner Mutter über One-Night-Stands reden, auch nicht über die sporadischen Drei-Wochen-Beziehungen. Das hatte er beim ersten und zweiten Mal gemacht, seither konnte er ihre Fragen nach jeder Trennung nicht mehr hören, dieses sorgenvolle und unterschwellig vorwurfsvolle Nachbohren, ob es ihm gutginge und wer oder was denn schuld gewesen sei, als ginge es im ganzen Leben nur um das Zuweisen der Schuldfrage. Ob sie zu jung oder er zu irgendwas gewesen sei?
Dieses Irgendwas betraf meist seine Lebensweise,
Weitere Kostenlose Bücher