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Gebissen

Gebissen

Titel: Gebissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Koch
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mehr, bis dahin waren Satanisten out und sonst wer der Untergang der Zivilisation. Vielleicht wieder einmal Amokläufer, und die bösen Computerspiele standen deswegen unter Generalverdacht. Vielleicht hätte er den Artikel einfach schreiben, das Geld kassieren und auf die Vergesslichkeit der Menschen bauen sollen, aber das konnte er nicht. Unter solches Geschmier wollte er seinen Namen einfach nicht setzen.
    Alex bezeichnete sich nicht als Gothic, er fühlte sich keiner Szene zugehörig, egal, wie oft er schwarze Hosen und Lederjacken trug. Aber Salle wusste, dass er Freunde in der schwarzen Szene hatte, dass er den halben Tag lang Musik aus der Szene oder Verwandtes hörte, dass er oft genug bei schwarzen Partys auflegte, dass er hin und wieder für ein Szenemagazin schrieb. Wie war er nur auf die Idee gekommen, Alex würde so etwas mal schnell rausrotzen?
    Noch so ein Telefonat, und er brauchte kein weiteres Koffein, um wach zu werden. Trotzdem schenkte er sich noch eine Tasse ein. Vielleicht hätte er ganz diplomatisch sagen sollen, er habe keine Zeit für den Artikel; mit dem Radiobeitrag zu Edgar Allan Poe und seinen modernen Erben hatte er ja noch einen Auftrag in Arbeit. Wozu so ein Jubiläumsjahr alles gut war, auch noch Monate nach Poes zweihundertstem Geburtstag.
    Alex beobachtete eine Fliege, die über seinen hellen Küchentisch aus eng gemasertem Fichtenholz mit leicht rötlichem Schimmer lief, dabei ständig die Richtung änderte auf der Suche nach letzten Bröseln der Pizza, die er gestern noch schnell vor der Party runtergeschlungen hatte. Seine Gedanken wanderten zu Lisa. Denn egal, was er seiner Mutter bei jedem Telefonat erzählte – er war einsam.
    Da saß diese gefräßige schwarze Leere in ihm, ein Loch, als wäre er unvollständig, als hätte er etwas verloren. Eine Leere, die sich wie ein Parasit jedes Gefühl der Nähe einverleibte, die ihn immer daran erinnerte, dass er allein war, egal, wie viele Freunde er hatte, egal, ob er gerade in einer kurzfristigen Beziehung steckte oder nicht. Nicht einmal Veronika hatte dieses Gefühl der Einsamkeit in ihrem ersten Jahr verschwinden lassen können. Vielleicht in den besten Augenblicken, aber die waren immer seltener geworden, je länger sie zusammen gewesen waren. Die ersten Tage und Nächte, in denen es nur um den Moment ging, die ersten Wochen, in denen man einfach gedankenlos genoss, hatten ihn manchmal die Leere vergessen lassen. Sie hatten sie nicht gefüllt, aber verdrängt.
    Als irgendwann die Fragen aufgekommen waren, wohin das alles führen sollte, als die Routine eingesetzt hatte, waren diese Augenblicke immer seltener geworden. Trotzdem hatte er sich an sie geklammert, bis Veronika ihn verlassen hatte.
    Er war ein Idiot gewesen.
    Jetzt klammerte er nicht mehr und war überzeugt, dass jeder Mensch allein war und mit der Schwärze in sich leben musste. Und trotzdem hoffte er bei jeder Frau, die er kennenlernte, dass seine Theorie nicht stimmte. Dass in ihrer Gegenwart seine innere Leere verschwinden würde, nicht nur im Rausch der Nacht, sondern den ganzen Tag lang. Er erträumte sich keine heile, flauschig pinke Puppenhauswelt, nur dass er sich nicht mehr ständig einsam fühlte, selbst wenn er mit einer Frau, die er liebte, durch eine milde Sommernacht lief.
    Er dachte an Lisa, an ihre lachenden grünen Augen, und spürte wieder diese irrationale Hoffnung in sich aufsteigen. Er wusste nicht, warum er sie auf einen anderen Menschen übertrug, doch wie sollte man Einsamkeit sonst besiegen? Allein wohl kaum.
    Er konnte sich nicht erinnern, wie es war, nicht dieses nagende Gefühl in sich zu spüren, dass da etwas fehlte. Vielleicht war es vor der Pubertät anders gewesen, in der Grundschule, aber das war zu lange her, die Erinnerungen daran verschwommen.
    Nach der dritten Tasse Kaffee wollte er duschen und mit der Arbeit beginnen, aber dann rief er doch bei Lisa an. Eigentlich hatte er das erst am Wochenende tun wollen, um nicht übereifrig zu erscheinen, um sie nicht zu vergraulen, aber je länger er an sie dachte, umso weniger wollte er taktieren. Er wollte sie einfach wiedersehen.
    »Ja? Hallo?«, meldete sie sich. Gestern war ihm gar nicht aufgefallen, wie sexy ihre Stimme klang.
    Instinktiv bemühte er sich, männlich tief zu sprechen. »Hi. Hier ist Alex.«
    »Alex?«, fragte sie. Im Hintergrund waren Straßengeräusche zu hören, irgendwer sprach, irgendwer lachte.
    »Ja. Wir haben uns gestern ...«
    »Ach, der Alex! Schön, dass

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