Gebissen
du dich meldest.«
»Dafür hast du mir die Nummer ja gegeben. Und ich dachte, ich ruf am besten gleich an, bevor du mich vergisst.« Er versuchte, lässig ironisch zu klingen. »Vielleicht können wir uns ja treffen?«
»Ja?«
»Ich dachte ans Wochenende. Freitag vielleicht?«
»Eigentlich gern. Aber ich bin gerade am Bahnhof und bis Freitag weg.«
»Schade. Was hältst du dann von Samstag?«
»Ich ruf an, wenn ich zurück bin. Okay?«
»Okay. Ich freu mich.«
Sie legte auf. Zwei Sekunden lang starrte Alex das Handy an und wusste nicht, was er von dem kurzen Gespräch halten sollte. Dann ging er duschen. Er würde wohl erst am Wochenende rausfinden, ob sie sich wirklich mit ihm treffen wollte.
Jeder ist allein.
2
Als Alex schließlich Feierabend machte, hatte er Lust auf Tabak. Er hatte bis kurz vor Mitternacht gearbeitet, den Poe-Bericht fast fertig geschrieben und in drei neue CDs reingehört, um herauszufinden, ob etwas Taugliches zum Auflegen dabei war. Jetzt wollte er einfach noch mal raus, um den Block laufen und eine rauchen. Zu Hause rauchte er nicht, er ging dabei gern ziellos umher oder starrte aufs Wasser. Eine selbstgedrehte Zigarette in der Abenddämmerung am Meer, während man auf dunklen Klippen saß und die Wellen heranrollen sah, das war wunderschön. Leider lag Berlin nicht am Meer.
Da er nicht jeden Tag rauchte, war sein Tabak schnell trocken und bröselig, immer wieder landete ein kleines Stückchen auf seiner Zunge, wenn er zog. Irgendwie gehörte das für ihn aber genauso dazu wie das Selbstdrehen. Filterzigaretten rührte er nicht an.
Alex wich einem Hundehaufen aus, die in Friedrichshain so häufig waren, dass jede Fliege ihren eigenen besetzen konnte, und bog in eine schmale, kaum befahrene Straße ein, in der die Hälfte der alten Fassaden neu gemacht war. In ungeheurem Tempo schritt hier die Sanierung voran, nur vor einem grau gewordenen Haus mit verziertem Erker und großen Balkonen stand seit bestimmt einem Jahr ein Baugerüst, und die Wohnungen blieben verlassen. Ein Stück der verschmutzten, milchigen Plastikplane hatte sich vom eisernen Gestänge gelöst, der Fußweg war staubig, denn es hatte seit Tagen nicht geregnet. Alex lief außen am Gerüst vorbei.
Auf der anderen Straßenseite sah er einen Mann im dunklen Anzug an der Bordsteinkante knien, die Nase fast auf den Rinnstein gepresst. Er hatte einen sauberen Kurzhaarschnitt, und sein Kopf ruckte unruhig hin und her. Der Oberkörper zuckte, als wolle er sich übergeben. Dabei zischte er vor sich hin.
»Alles in Ordnung?«, rief Alex nach kurzem Zögern.
»Kümmer dich um deinen Kram!« Die Stimme war unerwartet fest, fast ein Knurren. Dabei hob der Mann nicht einmal den Kopf.
»Leck mich doch.«
Der Mann reagierte nicht, er hantierte weiter mit etwas herum, das wie ein Strohhalm aussah. Vielleicht ein Kokser, dem sein Pulver auf den Boden gefallen war, dachte Alex. Der wird sich freuen, wenn er Dreck und Glassplitter mit hochzieht. Kein Wunder, dass Kokain die Nasenschleimhäute schädigt.
Anders als seine Mutter mochte Alex Berlin. Seit elf Jahren lebte er nun in Friedrichshain und vermisste das Dorfleben nicht. Er mochte die Anonymität und die Hektik, die Stadt war lebendig und hatte trotz aller Booms und Hypes seit dem Mauerfall noch immer ihre traurigen Ecken. Ihm gefielen die bröckelnden Wände voller Graffiti besser als die glänzenden Glasfassaden am Potsdamer Platz. Gebäude mussten Narben haben, Risse, die das Eis in den Verputz gesprengt hatte, ausgebleichte oder abgewaschene Farben, verwitterte Fenster und Türen, damit er sich in ihnen heimisch fühlen konnte. Sie mussten Charakter haben, so wie die unsanierten Häuser hier, und auch die renovierten, wenn sie nicht gerade hellblau oder fliederfarben gestrichen waren. Wie viel helle Farbe die Berliner auch auf ihre Fassaden kippen mochten, sie konnten den Charakter ihrer Stadt nicht ganz verdecken.
Alex drehte sich noch einmal kurz zu dem Typen um, der noch immer auf den Knien lag. Auch sein Anzug konnte nicht verdecken, wie fertig er war.
Als Alex die Kippe ausgetreten hatte, wollte er noch nicht wieder heim, zu unruhig war er innerlich. Gemächlich schlenderte er bis zur Spree, holte sich unterwegs noch ein Bier beim 24-Stunden-Döner und warf den nuschelnden Punks vor der Warschauer Brücke 50 Cent in den zerknautschten Pappbecher. Egal, bei welchem Wetter, sie saßen immer unter dem einzigen kleinen Baum an diesem Straßenstück oder dösten
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