Gebissen
legte es direkt auf eine der mit Verputz verschmierten, rauen Ritzen, die zwischen den einzelnen Betonplatten verliefen.
Unter seinen Fingerspitzen schien der Beton leicht zu zittern, er fühlte ein Kribbeln, das sich auf seine Haut legte wie die haarigen Beine wuselnder Insekten. Nein, eher wie kleine Nadeln, die in ihn stachen. Auch Ohr und Wange wurden von diesem Kribbeln überzogen. Das Summen, das er zu hören vermeint hatte, wurde deutlicher, als würde es durch den Beton herangetragen, als läge es direkt dahinter. Ein Summen aus der Erde, das ihm irgendwie vertraut vorkam, ihn an etwas zu erinnern schien. Er wusste nicht, an was, lauschte weiter, ließ das Summen in seinen Kopf eindringen und hatte plötzlich wieder den Moment vor sich, als Lisa auf seiner Schlafzimmerschwelle kauerte und vor und zurück wippte. Mit aufgerissenen Augen voller Abscheu, Angst und Schmerz.
Den Abend, an dem er Lisa gebrochen hatte, an dem er sie in den Selbstmord getrieben hatte, sie, die ihm vertraut hatte, die sich verliebt hatte.
Tot.
Denn Lisa war nie heimgelaufen, sie hatte sich an einem großen grauen Strommast erhängt, hoch oben, wo die stets hungrigen Krähen ihre im Wind baumelnde Leiche leicht anfliegen konnten. Schwarze Krähen saßen auf ihren schmalen, nackten Schultern und zerrten an ihrem verstrubbelten Haar, pickten nach Ohren und Augen. Eine Krähe krallte sich wie ein Specht in ihre Brust und hackte unablässig nach ihrem Herzen. Blut floss über ihre bleiche Haut, tropfte mit Fleischstückchen vermischt zu Boden. Mit jedem Picken drang der rot befleckte Schnabel näher an Lisas Herz.
Ihre Augen waren nur noch schwarze Höhlen.
Sie war tot, und ihre letzten Atemzüge reisten nun mit dem Wind, ein weiterer dünner Hauch im Heulen der Stürme.
Sie war tot, weil Danielle ihre unmenschliche Macht zur Verführung eingesetzt hatte, Alex noch einmal vor Lisas Augen betört hatte, weil er nach seiner ersten Nacht mit ihr nicht endgültig gebrochen war, weil er Danielle nur vermisste, weil er nur Schmerzen litt und dennoch mit Lisa Glück hätte finden können. Dieses Glück nach einer Nacht mit ihr ertrug Danielle nicht.
Sie war nicht auf Sex aus, sondern auf gebrochene Herzen. Ein man eater, eine femme fatale, gezeugt von einem gefallenen Engel, eine, die keiner Frau ein Herz gönnte, das sie einmal besessen hatte. Eine unerbittliche Getriebene, die quasi Leidenschaft der verbrannten Erde praktizierte, die aus Männern in einer Nacht Besessene machte, die fortan für niemanden mehr etwas empfinden konnten, sondern nur ihr nachweinen, ihr einen Schrein mit goldgerahmten Fotografien errichteten, einen Altar verflossener Lust im Schlafzimmer.
Danielle hatte Lisa auf dem Gewissen, niemand sonst. Alles andere waren Lügen der selbstsüchtigen Nephilim, die sich von gebrochenen Herzen nährte.
Solange sie lebte, gab es für Tausende Männer kein Glück mehr.
Alex konnte Lisa nicht mehr retten, er konnte sie nur rächen. Verzweifelt stand er unter dem grauen Hochspannungsmast, von dessen Spitze ihre Leiche im Wind baumelte. Er wollte sie herunterholen, bevor die vermaledeite Krähe ihr ganzes Herz herausgepickt hatte, doch er konnte nicht hinauf. So sehr er sich auch bemühte, er bekam den Mast nicht zu fassen, als würde dieser ihm ausweichen, seine Querstreben entziehen, die dreckverkrusteten Tritteisen.
Da entdeckte er Danielle, die ihm belustigt zusah und sich gierig über die rosa Lippen leckte. Sie hielt einen Spaten in der Hand, mit dem sie bis eben noch ein Loch ausgehoben hatte, ein Grab. Es war nicht für Lisa, es war für ihn bestimmt, fern aller heiligen Erde, eine schmucklose Grube für einen sündigen Selbstmörder. Auch er sollte sich umbringen.
Aber das würde er nicht!
Mit einem wilden Aufschrei stürzte er sich auf Danielle, riss sie zu Boden. Sie schlang die Beine um ihn, presste sie gegen seine Hüfte, zog ihn her zu sich, sah ihn mit ihren hypnotischen Augen an.
Er krallte seine Hände in ihr herrlich volles Haar, schmetterte ihren Kopf gegen die Erde, immer wieder.
Er sah nicht hin, um nicht diesem Blick zu begegnen, um nicht diese Lippen zu sehen, die er küssen wollte, die er küssen sollte.
Als ihre Beine kurz schwach wurden, wand er sich aus ihrer Umklammerung, stieß Danielle von sich, griff
sich den Spaten, um ihr mit den scharfen Kanten seines Blatts den Schädel zu spalten, oder wenigstens die Brust, Hauptsache, es würde Blut spritzen. Es war ein heißer Sommer, die Erde
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