Gebissen
dürstete nach Flüssigkeit. Sie musste trinken, dringend trinken, sie war so trocken und ausgedörrt. Und Danielle musste sterben. Sie hatte ihr Grab ausgehoben, nicht seines. Er schlug zu, sie wich zur Seite. Sein Hieb streifte sie nur im Gesicht, und ihre Wange platzte auf. Lachend holte er erneut aus.
Da wurde er von einem Tritt in den Bauch getroffen und taumelte zurück, schlug gegen den Hochspannungsmast, nein, gegen Beton, eine Wand. Er wurde im Gesicht getroffen, riss die Arme schützend hoch und murmelte: »Nein.«
Er wusste nicht, was los war, sprang zur Seite und öffnete die Augen.
Er befand sich in einem langen grauen Tunnel und hielt ein fast mannshohes rotes Eisenrohr umklammert. Es brauchte nur einen Augenblick, dann erinnerte er sich wieder an alles. Er musste eingenickt sein. »Verflucht! Tut mir leid.«
»Das kannst du laut sagen!« Danielle stand vor ihm, sie hatte sich ebenfalls ein Rohr gegriffen und blutete aus der Nase, über ihre linke Wange verlief ein Riss. »Friss deinen Kaffee, verdammt!«
Alex warf sich vor ihr auf die Knie, dort, wo ihr Blut zu Boden gespritzt war. Nephilimblut, das den Blutvater erwecken konnte.
»Nein!« Was hatte er im Traum getan? Er riss sich das Shirt über den Kopf und wischte das Blut auf. Panisch suchte er nach jedem Tropfen, jedem kleinen Spritzer.
»Ist ja schön, dass dich die Sauberkeit eines U-Bahn-Tunnels mehr interessiert als meine Gesundheit«, giftete Danielle und reichte ihm die Packung Kaffee.
»Nein! Es ist seinetwegen! Es darf nichts versickern, er darf es nicht bekommen.« Panisch kroch Alex hin
und her, presste das Shirt auf jeden Blutfleck, rubbelte auf dem Beton herum.
»Ja, schon gut.« Sie legte ihm die Hand auf den Oberarm. Er wollte sich losreißen, doch sie hielt ihn fest.
»Das ist keine Erde. Es ist Beton, hier versickert nichts.«
Alex starrte auf den Boden und war noch nie so froh, kalten, grauen, leblosen Beton zu sehen. Er fing an zu lachen, seine Stimme schnappte über, er lachte Tränen. Die Anspannung fiel von ihm ab, für ein paar Sekunden. Dann packte er den Kaffee, nahm zwei gehäufte Löffel und nach kurzem Zögern noch einen dritten hinterher.
Währenddessen wischte Danielle das restliche Blut auf und gab ihm sein Shirt mit einem Schulterzucken wieder. Er schlüpfte trotzdem hinein, es war kühl hier unten.
»Warum hast du es dann doch so gründlich aufgewischt?«, fragte er.
»Ich bin nicht sicher, ob ich mit dem Beton Recht habe. Ich weiß nicht, ob jemand wie er nicht doch Beton wie einen Schwamm verwenden kann.«
Alex schloss die Augen, nur eine Sekunde lang, und sein Herz pochte so wild, er nickte nicht ein. Er atmete durch und sagte: »Dann sollten wir uns jetzt ganz dringend beeilen.«
31
Lisa hatte beobachtet, wie noch weitere dieser bizarren unheimlichen Gestalten gekommen waren. Frauen und Männer unterschiedlichen Alters, aus unterschiedlichen Schichten und Milieus, die alle Schwarz trugen wie auf einer Beerdigung, selten mit anderen gedeckten Farben kombiniert. Doch die Stimmung war zu aufgekratzt für eine Beerdigung, sie schienen auf etwas zu warten, standen in kleinen Grüppchen herum, raunten sich Dinge zu, tippelten unruhig mit den Füßen, wechselten mal hierhin, mal dorthin, legten mal diesem, mal jenem den Arm um die Schulter. Mal dachte Lisa an einen seltsamen Sektempfang, obwohl niemand lächelte oder jemandem zuprostete, dann wieder an eine Meute Jagdhunde, die unruhig darauf wartete, auf das Wild gehetzt zu werden. Erwartung lag in der Luft, unruhige Vorfreude auf irgendetwas, und das konnte nicht ihretwegen sein. Nicht, weil sie eine von ihnen werden sollte, dafür wurde sie zu wenig beachtet.
Doch der eine oder andere warf ihr einen Blick zu, eben hatte ein rüstiger älterer Herr mit dichtem Backenbart zu ihr herübergelinst, der eine historische, blank gewienerte Pickelhaube trug und einen Säbel umgeschnallt hatte. Er atmete schnaubend durch die Nase und leckte sich immer wieder über die dünnen Lippen.
»Spürst du das? Ist das nicht herrlich?«, sagte Sandy. Sie hatte sich inzwischen wieder angezogen, langsam bröckelte die Erde von ihrer Haut. »Ich bin so froh, dass wir noch rechtzeitig auserwählt wurden, bevor er erwacht. Wir werden Teil von etwas wahrlich Großem sein.«
Lisa nickte mechanisch. Das Vibrieren im Boden nahm zu, sie konnte es nun sogar im leichten Zittern der Holzbank spüren, auf der sie saß. Die Füße zu heben, half nichts. Auserwählt, es klang
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