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Gebissen

Gebissen

Titel: Gebissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Koch
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aller Vampire, jedenfalls hatte sie es so verstanden. Der, der Sandy zu dem gemacht hatte, was sie jetzt war, besessen von Rache und Blutdurst. Er wusste, was Sandy getan hatte, und er wollte sie dafür strafen. Er war so mächtig, dass die starken Vampire vor ihm zitterten. Warum kam er dann also nicht aus dieser Tür getreten? Wartete er darauf, dass Sandy als gehorsame Tochter zu ihm hineinkam, um sich ihre Strafe abzuholen? Oder war es tatsächlich möglich, dass er von alleine nicht herauskonnte?
    Lisa starrte auf die schwarze Tür, die vielleicht zwei Meter fünfzig oder drei Meter hoch war und nicht viel breiter als eine normale Wohnungstür. Nach Sandys Worten war er gigantisch, lebte unter ganz Berlin, natürlich passte er nicht durch diese Tür.
    »Sandy?«, fragte sie.
    »Ich hab ihn umgebracht. Ich hab ihn umgebracht«, murmelte diese ohne Unterlass. Sie reagierte nicht auf Lisa, achtete nicht auf sie oder sonst irgendwas.
    Jetzt war ein guter Zeitpunkt zur Flucht, der perfekte Zeitpunkt, aber wieder hielt Lisa irgendetwas zurück. Sie musste Sandy mitnehmen, er würde sie sonst töten, hatte Sandy gesagt.
    Aber hatte Sandy nicht auch gesagt, dass er noch nicht erwacht war? Dass seine Zeit erst kommen würde?
    Das klang wie das typische Geschwätz eines religiösen Fanatikers oder Irren. Nur hatte Lisa noch nie die Fantasiegebilde eines Irren leibhaftig vor sich gesehen, Vampire inzwischen jedoch schon. Sie schielte zu der schwarzen Tür hinüber, behielt sie im Blick und wartete darauf, dass sie sich öffnete. Doch nichts geschah. Seit Minuten war Jo tot, und nichts geschah.
    »Ich habe ihn getötet. Ich habe ihn getötet.« Sandys Murmeln setzte sich in Lisas Ohren fest, bohrte sich in ihr Hirn. Es machte sie beinahe ebenso wahnsinnig wie Jos Knurren zuvor.
    »Sandy! Ich geh jetzt.« Lisa erhob sich und machte einen Schritt in Richtung Ausgang.
    »Ich habe ihn getötet. Ich habe ihn getötet ...«
    »Verdammt! Sandy!«
    »Ich habe ihn getötet...«
    Lisa ballte die Hände zu Fäusten, schrie, um Sandys Gemurmel zu übertönen, und trat ihr ins Kreuz.
    »Autsch!«
    »Reiß dich zusammen!«
    »Aber ich hab ihn getötet.« Diesmal sah Sandy sie an, starrte nicht mehr wie tot vor sich hin. Bedauern, Entsetzen, Furcht und Verwirrung lagen in ihrem Blick.
    »Er wollte mich töten, und er wollte dich töten. Er war wahnsinnig!«
    »Er war mein Bruder, und er war durstig«, murmelte Sandy. Sie würgte und beugte sich vor, als wollte sie sich übergeben.
    Sofort ging Lisa neben ihr auf die Knie und hielt ihr die Haare aus dem Gesicht, hielt sie fest, wie ihre Mutter es immer getan hatte, als sie klein gewesen war, murmelte beruhigende Worte.
    Sandys Stirn war kalt. Sie würgte und würgte, doch sie brachte nichts heraus außer zähen, schleimigen Speichel, durchsetzt mit etwas, das kleine Brocken dunklen getrockneten Bluts sein konnten, soweit Lisa das im schwachen Licht der Halle erkennen konnte. Wahrscheinlich hatte Jo sie mit einem Schwinger irgendwie verletzt.
    »Geht’s wieder?«, fragte sie.
    Sandy nickte und wischte sich mit der Hand über den Mund. Dann schüttelte sie den Kopf. »Ist doch alles egal. Er wird uns töten.«
    »Das hast du schon gesagt. Aber bis jetzt ist er nicht herausgekommen aus seiner schwarzen Tür.«
    »Das muss er nicht. Nicht bevor er erwacht ist«, sagte Sandy und spuckte wieder aus, als hätte sie noch einen widerlichen Nachgeschmack auf der Zunge.
    Von seinem Erwachen hat sie eben schon geredet, dachte Lisa. Darüber hinaus hatte Sandy gesagt: Der  Blutvater ist nicht nur hier, er ist überall unter Berlin. Aber wenn sie ihn dort draußen in Brand stecken, können sie ihn nicht töten.
    Plötzlich waren diese Sätze in Lisas Kopf und ließen sie nicht mehr los. Wenn sie es richtig verstand und es stimmte, dann blieb ihnen tatsächlich Hoffnung. Sandy hatte betont, dass man ihn dort draußen nicht töten konnte. Bedeutete das nicht auch, dass dies im Gegensatz dazu hier gelingen konnte? Hier unten, hinter dieser Tür.
    »Und wenn wir ihn zuerst töten?«, fragte Lisa. Ihre Stimme klang leise, piepsig und verloren in der riesigen Halle.
    Sandy starrte sie entsetzt an. »Ihn töten? Er ist mein Vater, und in wenigen Minuten wird er deiner ...« Ihre Stimme wurde mit jedem Wort leiser, als glaubte sie nicht mehr daran.
    »Er will dich töten, verdammt noch mal!«, brauste Lisa auf. »Du sagst, ich soll Alex nicht schonen, weil er mich wie Dreck behandelt hat, weil er über

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