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Gebissen

Gebissen

Titel: Gebissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Koch
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Geschwister die Nephilim erwischt hatten. Jederzeit konnten die ersten Vampire zurückkehren, oder es konnte einer auftauchen, der die Erschütterung gespürt hatte, jedoch nicht wusste, wo Alex und die Nephilim zu jagen waren, und sich deshalb einfach hierher begab.
    Mit einem grimmigen Nicken öffnete Sandy die Tür, und Lisa folgte ihr durch einen kurzen Flur in einen Raum, der vielleicht zehn oder fünfzehn Meter durchmaß. Die Wände waren einfach aus der Erde gegraben und hielten ohne jede sichtbare Stütze, auch die Decke rieselte nicht herab. Wahrscheinlich wurden sie von einem dichten Wurzelgeflecht gehalten oder von einem vergrabenen Gestänge. Vier Laternen hingen in den Ecken und tauchten alles in ein schwaches Licht.
    Nichts erinnerte an einen kultischen Raum, wie Lisa ihn aus Kirchen, Tempeln oder dem Fernsehen kannte, es gab weder einen Altar noch irgendwelche Schriftzeichen oder Bilder an den Wänden. Nichts, was der Verehrung oder Huldigung des Blutvaters diente. Dies war viel weniger ein Kultraum als die Halle, aus der sie kamen. Er war nicht für ihn errichtet worden, sondern für seine Kinder, damit sie zu ihm gelangen konnten. Er war der Boden des Raums.
    Es sah aus, als wäre dort ein Wesen mit dem Bauch nach oben vergraben worden, das an eine riesige Spinne mit unendlich langen Beinen erinnerte und zugleich an eine runzlige, schwarze Krake. Der Boden hob und senkte sich langsam, als würde er atmen. Aus ihm wuchsen zahlreiche Gliedmaßen, die an haarige Beine erinnerten, an die schlangengleichen Arme eines Tintenfischs oder die knorrigen Wurzeln eines alten Baums. Die meisten gruben sich neben dem Wesen in die Erde, zwei oder drei führten quer durch den Raum in die Decke hinauf, dicker als das Bein eines Elefanten, und einige kürzere ragten einfach nur reglos in die Höhe und schienen zu warten. Ein bizarres Durcheinander aus endlosen, teils zuckenden, teils reglosen Gliedmaßen.
    In der Luft hing ein leises Schlürfen und Saugen, ein Schmatzen und Gurgeln. Leise, ganz leise, wie ein fernes Echo, die Ahnung vergangener Geräusche, die sich in der schweren, modrigen Luft festgesetzt hatten.
    Es legte sich wie eine Eisschicht auf Lisa. Sie musste sich zusammenreißen, um nicht zu schreien, so kalt und lähmend war diese eingebildete Berührung eines Geräuschs. Das atmende Ding im Boden strahlte so viel Wut, Hass, Trauer und Rachedurst aus, dass Lisa nicht weiterlaufen wollte. Ihre Füße blieben einfach stehen, doch Sandy stieß sie grob voran.
    Am hinteren Ende des Raums ragte ein flacher Kopf aus der Erde, der Charakteristika von Käfer, Mensch und Hammerhai vereinte und dessen Augen ein Narbengewulst aufwiesen, als hätte ihnen jemand die Lider abgeschnitten. Es waren menschliche Augen ohne Iris und Pupillen, leblose weiße Flächen von Tellergröße. Der Kopf steckte auf einem langen Hals. Vier Zangen wie von Spinnen oder einem grotesken Käfer umgaben das breite Maul, das mit mehreren Reihen spitzer weißer Zähne gespickt war.
    Aus der Decke hingen Wurzeln und wurmartige Dinge, die sich ihnen zuwandten, als sie den Raum betraten. Lisa verfluchte sich, dass sie nicht einfach davongerannt war. Sie wusste nicht, ob sie mehr Ekel oder Angst empfand.
    »Vater, hier ist die Neue!«, intonierte Sandy, und Lisa hoffte verzweifelt, dass es wirklich die besprochene List war.
    Sie durfte keine Angst haben, sie durfte nicht. Immer wieder sagte sich Lisa das lautlos vor. Sie durfte sie nicht zeigen, sich nicht von ihr lähmen lassen. Sie musste bereit sein zu handeln. Nur darauf kam es an. Ihre Knie waren so wacklig, dass ihre Beine einzuknicken drohten. Plötzlich war die Fackel, die an ihre Hände gefesselt war, unendlich schwer und drückte sie beinahe zu Boden.
    »Ja, sie ist gefesselt«, antwortete Sandy auf eine Frage, die nur sie gehört hatte. »Sie hat sich plötzlich gewehrt, ein unvorhersehbarer Sinneswandel. Als Jo ausgerastet ist, wollte sie fliehen.«
    Lisa vernahm nichts außer dieser Ahnung eines Schlürfens und spürte wachsenden Druck auf den Ohren. Blut rauschte in ihnen, irgendwas presste auf ihren Gleichgewichtssinn. Trotzdem tippelte sie einen winzigen Schritt weiter in den Raum hinein. Sie hatte das Gefühl, von jeder Wurzel und jedem Wurm beobachtet zu werden, gemustert wie ein sorgsam angerichtetes Buffet.
    »Ich weiß nicht, warum. Es tut mir leid, Vater.« Sandy hatte den Kopf gesenkt und machte einen weiteren Schritt nach vorn, drängte Lisa weiter auf den bizarren Kopf

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