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Gebissen

Gebissen

Titel: Gebissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Koch
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wie alt er war und wie es ihm gerade ging. Sie war einfach da, saß lauernd in ihm. Doch sie würde ihn nicht kleinkriegen, schwor er sich erneut und spuckte in die Spree. Zigmal hatte er das Rasiermesser ohne psychologische Hilfe aus der Hand gelegt, hundertmal war er nicht gesprungen, und er würde noch tausendmal nicht springen.
    Lächelnd dachte er an Lisa und leerte die Flasche. Dann stieß er sich von der steinernen Brüstung ab und schlenderte nach Hause.

3
    »Drecksack! Verdammter Drecksack!« Sandy schrie den niedlichen handgroßen Teddy mit dem schwarzen Vampirumhang an. Mit der Linken presste sie ihn gegen das Küchenbrett, das sie auf den Tisch gelegt hatte.
    »Schenkst mir kleine süße Teddys und bumst gleichzeitig meine große Schwester!«
    Sie nahm noch einen weiteren Schluck Wodka aus der viel zu kleinen Flasche, hob dann den Hammer und stierte auf das Stofftier, das Martin ihr geschenkt hatte. Der verlogene, betrügerische, hinterlistige Drecksack! Ihn anzuschreien, hatte nichts genutzt, er hatte sofort aufgelegt - und sie fühlte sich noch immer beschissen. Verraten und schrecklich gedemütigt, einsam und wertlos. Seit sie es wusste, hatte sie nicht mehr durchgeschlafen, gehetzt von Träumen, an die sie sich nicht erinnern wollte. Wie hatte er ihr das antun können?
    Und wie Judith?
    Wodka und Wut kreisten in ihrem Kopf. Jetzt musste eben der arme Vlady dran glauben. Warum nur hatte der Teddy keinen Penis, den sie ihm abreißen konnte?
    Sie setzte den Nagel auf Vladys weiches Ärmchen und drosch ihn hindurch und ins Holz. Schwer atmend kramte sie den nächsten Nagel aus der grauen Pappschachtel mit dem orange leuchtenden Sonderpreis-Aufkleber und schlug auch den anderen Arm fest, und schließlich die Beine. Vlady an ein Brett zu kreuzigen, war ihre Form von Voodoo. Es war nicht wichtig, ob es Martin tatsächlich Schaden zufügte, ihr tat es gut.
    »Und jetzt brech’ ich dein Herz«, sagte sie dennoch und drosch dem Teddy einen Nagel mitten in die Brust. Dabei rutschte der Hammer ab und schrabbte über ihren Daumen.
    Sandy schrie vor Schmerz, Blut tropfte auf Vlady. Nicht mal das konnte sie, ohne sich selbst wehzutun! Als hätte sich alles und jeder gegen sie verschworen.
    Sie hielt den pochenden Daumen über die Spüle und ließ kaltes Wasser drüberlaufen. Sie hatte mal gehört, dass das helfen solle. Fluchend sah sie zu, wie ihr Blut in den Abfluss gewaschen wurde. Tränen tropften hinterher, sie hatte gar nicht gemerkt, dass sie weinte.
    »Du blödes Arschloch«, flüsterte sie und entschied, dass ein Pflaster besser wäre als Wasser.
    Als sie sich verarztet hatte, hängte sie den gekreuzigten, blutbefleckten Vlady dort an die Wand, wo das Bild von Martin und ihr in Prag gehangen hatte. Das Foto hatte sie längst in den Müll geworfen.

4
    »Faith for the faithless, for the lost, for the forgotten ones«, forderte der Sänger von The House of Usher  über den schleppenden Rhythmus des Songs hinweg, den dunklen Bass, die verzerrte sägende Gitarre. Wieder und wieder, bis der Song Tempo aufnahm und treibend und hypnotisch auf sein Ende zujagte, um in den Klassiker Do you believe in the Westworld der Post-Punk-Combo Theatre of Hate überzugehen.
    Es war Freitagabend, beinahe Mitternacht, und das Gilgamesch war voll. Alex hatte sein zweites Bier in der Hand und stand mit Jens, Mela, Sonja und Koma im First Floor des Clubs, wo die dunkle Musik spielte. Das Licht war gedimmt, und die Luft roch nach Trockeneis, Patschuli, anderen Parfüms und Schweiß. Auch Alex war durchgeschwitzt vom Tanzen und ließ die Klänge über sich hinwegschwappen.
    Es tat gut gegen die innere Schwärze, obwohl er nicht wusste, warum es half - vielleicht war es wie Impfen, Schwärze in kleinen homöopathischen Dosen. Schwermütige oder wütende Musik zog ihn nicht runter, sie hielt ihn aufrecht und die gefräßige Dunkelheit in ihm klein. Als könnte sie sich von den Songs nähren und deshalb ihn in Ruhe lassen. Die Musik drückte das aus, was er oft fühlte, was in ihm brodelte und lauerte, und deshalb war sie sein Verbündeter.
    Er selbst hatte nie genug Talent gehabt, musikalisch auszudrücken, was in ihm steckte. Auf der Gitarre konnte er eine Handvoll Klassiker klampfen, doch weiter hatte er es nie gebracht. Auch beim Komponieren elektronischer Musik war ihm kein Song geglückt, der es wert wäre, auf eine CD gepresst oder ins Netz gestellt zu werden. Zu monoton, zu dumpf, zu leblos, zu banal waren seine Versuche

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