Gebissen
geblieben, aneinandergereihte gängige Versatzstücke, seelenlos. Er konnte das Dunkle in sich nicht fassen - und etwas anderes, das er musikalisch ausdrücken wollte, hatte er nicht.
Der DJ spielte Love Like Blood, und Alex sang lautlos mit - We must play our lives like soldiers in the field / life is short I’m running faster all the time.
Langsam tauchte er aus seinen richtungslos trudelnden Gedanken und der Musik auf, träumte einen kurzen Moment von Lisa und versuchte wieder mitzubekommen, wovon die anderen sprachen. Wovon Koma sprach, der wieder einmal mit Anekdoten von seinem Job in der Presseabteilung eines Medienkonzerns den Alleinunterhalter gab.
Koma trug eine zerrissene Jeans und ein blau-grau gestreiftes Hemd ohne Kragen und Knöpfe. Bucklig wie Quasimodo stand er da, ließ die langen Arme baumeln und imitierte einen eifrigen Kollegen, der vor dem Chef buckelte, deshalb mehr Arbeit und weniger Achtung bekam als andere und dem zu entgehen versuchte, indem er immer mehr buckelte.
»Der Teufelskreis der Rückgratlosen. Aber der viel größere Trottel bin ich«, fügte Koma nahtlos an und erzählte, wie er es sich innerhalb von zehn Minuten bei der neuen Kollegin verscherzt hatte, indem er sich nacheinander über Ledersitze im Sportwagen, Prosecco und Kakteensammler amüsiert hatte. »Mit Prosecco verbinde ich einfach diese schrecklichen Bussi-Bussi-Stehempfänge, wo allen das Lächeln ins Gesicht getackert ist. Woher sollte ich wissen, dass sie Prosecco wegen des Geschmacks liebt, auf einen Flitzer mit Ledersitzen spart und auch noch Kakteen sammelt? Ich meine, kann sie nicht wenigstens Orchideen züchten und Kakteen hassen? Das passt doch viel besser zum Rest. Trägt diesen Alternativchic und steht auf Sportwagen, wie soll ich das denn riechen? Das geht nicht mal mit meinem Riesenzinken, der acht von zehn Frauen vertreibt. Den Rest schlage ich mit einer ganzen Armada erlesener Fettnäpfchen in die Flucht. Ich trete nicht nur rein wie andere Leute, ich bade richtiggehend darin! Jetzt muss ich wohl doch reich werden und dann entscheiden, ob ich mir eine Schönheits-OP oder gleich eine Frau ohne chirurgische Umwege leiste.«
»Hey!« Mela, die ein enges schwarzes Shirt trug, auf dem ein sabbernder Zombie mit ausgestreckten Händen jungen aufgetakelten Blondinen hinterherlief und »Breasts, breasts ...« sabbelte, boxte ihm in gespieltem Ärger gegen die Schulter.
»Was willst du denn investieren?« Sonja klimperte mit den dunkel geschminkten Lidern.
»Wieso? Was sollst du kosten?«, mischte sich Jens ein, was auch ihm einen Schlag von Mela einbrachte: »Noch so eine Frage, und du schläfst auf der Couch.«
Alex lachte mit den anderen und dachte wieder an Lisa. Er hoffte, sie würde sich morgen wirklich melden. Oder schon heute Abend, schließlich wollte sie heute zurückkommen.
»Wisst ihr, wen ich am Mittwoch auf der Straße getroffen hab? Andi!«, sagte Sonja.
»Deinen Andi? Also deinen Ex, sorry?« Koma richtete sich wieder auf und hielt die Arme ruhig.
»Nein. Würde ich das so vergnügt fragen? Andi, den Möchtegern-Schlagzeuger.«
»Der wollte doch wegziehen, nach Köln oder so. Cool. Wie geht’s ihm?«
»Keine Ahnung. Er sagte gut, hervorragend, ganz ausgezeichnet, aber es klang wie bei diesen Karrierezombies, die zwölf Stunden am Tag arbeiten und lächeln und in Sätzen aus Werbebroschüren reden, die sie selbst verfassen oder gestalten. Ich fragte Wie läuft’s in Köln?, und er sagte, er sei nun doch in Berlin geblieben. Er will nicht weg, die Stadt sei so toll, seine Heimat.«
»Heimat? Der ist doch Schwabe. Aus Reutlingen oder so«, sagte Koma.
»Was kennst du denn für Käffer?«
»Fußball, es ist immer Fußball«, grinste Koma. »SSV Reutlingen spielt Regionalliga und ...«
»Schon gut«, unterbrach ihn Sonja. Keiner von ihnen außer Koma interessierte sich für Fußball, höchstens noch Mela zu WM-Zeiten. »Auf jeden Fall habe ich Andi gefragt, warum er sich dann nicht gemeldet oder mal hier blicken hat lassen, ob er noch in der alten Wohnung sei. Und er sagte Nein, aber er würde sich mal melden, nur momentan sei er leider zu beschäftigt. Er habe ein furchtbar großes Projekt am Laufen, ein Projekt, das ganz Berlin verändern werde, das verdammt vieles verändern werde. Das Aufschneiden kennt man ja von ihm, aber sonst hatte er sich verändert. Er wirkte zielstrebiger, fast besessen, und kälter. Es war nicht mehr dieser kindische Größenwahn, mit dem er von
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