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Gebissen

Gebissen

Titel: Gebissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Koch
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vollgestellt und sichtlich bewohnt war. Dennoch wirkte es anders als vor ihrem Besuch - kälter, wie der Schrein für eine Tote, der nur noch zur Erinnerung an bessere Zeiten diente.
    Ärgerlich schüttelte Alex den Kopf. Es gab ein Leben nach Danielle, eine einzige Nacht konnte nicht alles verändern. Er hatte sie nur begehrt, hatte sich nicht verliebt. Dann zwang er seine Gedanken fort von ihr, griff sich seinen Kaffee und blätterte um.
    Auf der nächsten Seite war das Bild eines vollkommen zerquetschten PKW, der in Berlin-Lichtenberg gegen eine Tunnelwand gerast war. Ein Toter, drei Verletzte. Auf dem Foto waren große dunkle Flecken auf dem rissigen Asphalt zu erkennen, auf der unverputzten Wand im Hintergrund war die untere Ecke eines Werbeplakats für irgendwelche Klamotten zu sehen, daneben hatte jemand »Nephil...« gesprüht, in großen, hektisch hingeschmierten Buchstaben, alles hinter dem »I« stand jenseits des Bildrandes.
    »Nephilim«, murmelte Alex und ließ fast die Tasse fallen. Der Spinner gestern war doch auf der Suche nach einem Nephilim gewesen. Hatte er das dorthin gesprüht? Und was stand hinter dem Nephilim an jener Wand geschrieben?
    Nephilim raus, Nephilim gesucht, Nephilim forever, Nephilim verrecke - oder gar eine längere Botschaft?
    Alex wusste, dass Nephilim im Alten Testament zweimal erwähnt wurden, auch wenn sie in den üblichen Übersetzungen als Riesen bezeichnet wurden. Das hatte er nachgeschlagen, als er einen längeren Artikel über die alten Gothic-Rock-Heroen Fields of the Nephilim verfasst hatte. Die Nephilim waren die Nachfahren von Gottessöhnen, vielleicht Engeln gewesen, die sich mit Menschenfrauen eingelassen hatten. Groß gewachsen und stark, Recken in den frühen Tagen der Menschheit.
    Natürlich lief so jemand heutzutage nicht durch Berlin, es gab keine übernatürlichen Wesen, keine Götter und nichts dergleichen, aber vielleicht konnte er herausfinden, wer sich nach ihnen benannt hatte, irgendein Motorradclub, ein seltsamer Kult oder eine Wehrsportgruppe, wer wusste das schon. Vielleicht nannten sich auch die Lehrmeister irgendwelcher östlichen Atemtechniken so, und alles war ganz harmlos.
    »Du riechst nach Nephilim«, hatte der Spinner mit den kalten Haiaugen gesagt - das klang nicht nach Motorradclub oder Lehrmeister.
    Alex fuhr seinen Rechner hoch und schenkte sich eine dritte Tasse Kaffee nach. Dann gab er »Nephilim« und »Berlin« in die Suchmaschine ein.
    Der erste Treffer führte ihn zum Onlineshop einer Rollenspiel- und Buchhandlung in Steglitz, zur Abbildung irgendeiner Zinnfigur. Eine humanoide Gestalt mit ausgeprägten Bodybuildermuskeln, monströsem Drachenkopf mit gefletschten Raubtierzähnen, ledrigen Flügeln und einem riesigen, zweihändig geführten Krummschwert.
    Unwahrscheinlich, dass es um eine solche Figur ging, die konnte man sich einfach kaufen.
    War der Spinner gestern etwa gar kein richtiger Spinner gewesen, sondern nur ein Rollenspieler, der in ihm versehentlich einen Mitspieler gesehen hatte? Alex dachte an die kalten Haiaugen, an die unheimliche Präsenz des Mannes, an die abgrundtiefe Abneigung, die er in ihm hervorgerufen hatte. Nein, das war kein harmloser Spieler gewesen, er hatte es ernst gemeint, so ernst wie jeder Schizophrener seinen Wahn. Alex kannte einige Rollenspieler, und keiner von denen hatte ihm je so direkt ein derartiges Gefühl von Bedrohung vermittelt.
    Die nächsten Treffer waren Usernamen in irgendwelchen Foren oder des Betreibers einer Fotogalerie, viele schienen ein Nephilim sein zu wollen, wenigstens im Netz. Groß, stark, geheimnisvoll und alten Mythen entsprungen. Alex lächelte.
    Es folgten Blogeinträge zu den Fields of the Nephilim, weitere Spiele-Sites, der allgemeine Artikel zu Nephilim auf Wikipedia und so weiter. Nach zwei Stunden hatte Alex nichts und niemanden gefunden, den dieser Spinner gesucht haben könnte. Gut, bei richtigen Spinnern wusste man nie, was sie wirklich wollten, aber nichts passte auch nur annähernd. Dass er eine Zinnfigur hatte kaufen wollen, konnte Alex wohl ausschließen.
    Was hatte dieses halbe-halbe zu bedeuten gehabt? Als wollte er brüderlich teilen, mit diesen kalten Augen, die ganz und gar nicht brüderlich waren. Und gute Wahl?
    Kurz entschlossen rief er Koma an, der kannte ein paar seltsame Typen, vielleicht auch jemanden, der von einem Nephilim gehört hatte oder sich gar selbst so nannte, und das nicht in einem Forum, sondern auf der Straße. Nicht jeder drängte

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