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Gebissen

Gebissen

Titel: Gebissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Koch
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Kollegin so etwas passiert.« Sie seufzte. »Na ja, lassen wir das.«
    Also redeten sie über dies und das, und Alex fragte irgendwann nach Sandy: »Kommt sie klar?«
    »Ja«, sagte Lisa und presste die Lippen zusammen. »Das heißt, ich weiß nicht. Sie wird irgendwann damit klarkommen, aber momentan ist sie echt fertig.«
    »Verlassenwerden ist nicht schön.«
    »Vor allem nicht, wenn dein Freund mit deiner Schwester in die Kiste steigt.«
    »Au verdammt.«
    »Ja. Jetzt ist er mit Sandys Schwester zusammen, und Sandy hat nicht viele Freunde in Berlin. Kommilitonen schon, aber keine Freunde, sie ist am Wochenende und in den Semesterferien immer zu ihm gefahren. Und das hat gar nichts genützt, wie sie jetzt sagt. Manchmal mach ich mir echt Sorgen. Es ist nicht so, dass sie gar nicht mehr lacht oder gar nicht mehr aus dem Haus geht, und es ist okay, sich nach einer Trennung zu vergraben, aber sie träumt auch mies, so richtig mies. Schlaf sollte erholsam sein, aber sie sitzt beim Frühstück und starrt ins Nichts. Sie sagt, sie kann sich nicht an ihre Träume erinnern, aber sie fühlt sich völlig ausgelaugt und leer. Das sagt sie mit so leiser, gefühlloser Stimme, das kann einem Angst machen.« Lisa presste die Lippen aufeinander und sah ihn an.
    Alex nickte.
    »Ich habe keine Hoffnung mehr, sagt sie dann manchmal«, fuhr Lisa fort, »und wenn ich sie frage, in welcher Hinsicht sie keine Hoffnung mehr habe, antwortet sie nur: In jeder Hinsicht. Sie trägt nur noch Langärmliges und sperrt sich im Bad ein. Im Müll habe ich zufällig eine Klinge gesehen, die sie aus einem Einwegrasierer herausgebrochen hat. Sie war voller Blutflecken, ich glaube, sie ritzt sich in den Arm, aber ich trau mich nicht, sie zu fragen. Ich habe vorsichtig vorgeschlagen, dass sie zu einer Therapeutin gehen soll, aber sie hat nur gelacht. Ich glaube, sie ritzt sich, um überhaupt wieder irgendwas zu fühlen, und vielleicht ist das für sie ja der richtige Weg, mit der ganzen Geschichte umzugehen. Das klingt möglicherweise dumm und naiv, und ein Psychologe würde mich dafür steinigen, aber immer, wenn sie aus dem Bad kommt, wirkt sie lebendiger. Nach dem Aufstehen scheint sie mir fast tot zu sein, das ist unheimlich. Ganz blass und ohne einen Schimmer Leben in den Augen. Ich ... ich weiß echt nicht, was ich tun soll, und weiß auch nicht, warum ich dir das alles erzähle. Du hast gefragt, und ... vielleicht wollte ich dir auch nur erklären, warum ich am Samstag gehen musste. Tut mir leid, dich damit zu belasten, eigentlich wollte ich das gar nicht.«
    »Hey, das ist doch kein Problem. Hauptsache, Sandy kommt wieder in Tritt.«
    »Ja. Danke.«
    Alex wusste nicht, was er noch sagen sollte, nickte einfach und hätte sie am liebsten in den Arm genommen, oder wenigstens ihre Hand, aber er saß einfach da und sah sie an. Sie blickte zu Boden und unterdrückte Tränen; ihre Mundwinkel zuckten. Es tat ihm weh, sie so zu sehen.
    »Drehst du mir noch eine?« Sie hob den Kopf. »Schnaps haben wir ja keinen dabei, oder?«
    »Nein.« Er packte den Tabak aus.
    »Ich würde ihr gern helfen, aber ich weiß einfach nicht, wie.«
    »Du hilfst ihr doch, indem du da bist. Alles andere kommt mit der Zeit.«
    »Meinst du?«
    »Ja. Irgendwann nimmt der Schmerz ab.« Er reichte ihr die Zigarette, gab ihr Feuer und drehte sich selbst auch eine. Damit sie nicht allein rauchen musste, obwohl das natürlich Blödsinn war.
    »Okay. Dann lassen wir die Zeit arbeiten und reden jetzt über etwas weniger Trübsinniges. Was schreibst du gerade für einen Artikel?«
    »Bin eben mit einem über Poe fertig geworden.« Alex grinste. »Der war halb wahnsinnig und ist viel zu früh in der Gosse gestorben.«
    »Das ist ja richtig aufbauend.« Sie lachte vorsichtig und verschluckte sich am Rauch. Sie hustete und wedelte mit der linken Hand durch die Luft, als würde das helfen.
    Er grinste und fragte dann, ohne nachzudenken, ob sie zufällig irgendwelche Leute kannte, die sich Nephilim nannten. In Berlin oder sonst wo.
    Sie verneinte. »Was sollen das für Leute sein?«
    »Keine Ahnung. Ich weiß nur, dass ein ... Bekannter nach ihnen sucht«, wich er aus. Er wollte mit ihr nicht über den Spinner sprechen. Mit Sandy und ihrer Kollegin hatte sie schon genug zu knabbern.
    Sie wechselten endgültig zu harmlosen Themen, Literatur, Kino, Freizeit, Hobbys, und stellten fest, dass sie unterschiedliche Bücher lasen, unterschiedliche Musik hörten und unterschiedliche Filme mochten.

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