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Gebissen

Gebissen

Titel: Gebissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Koch
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Irgendwas trieb sie hinaus, als würden dort die tollen Männer nur auf sie warten.
    Alles Schweine.
    Bei ihrem Glück würde sie nicht mal von einem Schwein, sondern einem Jesusfreak angesprochen werden, einem von denen, die dann sagten, sie sehe einsam aus, aber Gott könne ihr da helfen. Judith war das schon zweimal passiert, und schließlich schienen ja dieselben Männer auf sie und ihre Schwester anzuspringen, dachte Sandy bitter.
    »Wieso? Hat Gott einen großen harten Schwanz?«, hatte Judith den zweiten Jesusfreak angegiftet, und der war mit rotem Gesicht und nach Luft schnappend abgezogen.
    Gegen ihren Willen musste Sandy grinsen. Wäre Judith jetzt hier, würde sie ihr liebend gern die Nase brechen, sollte sie doch ihr ganzes Leben mit einem hässlichen krummen Zinken rumlaufen, das hätte sie verdient. Und dann wollte Sandy hören, wie ihre Mutter mit Judith sprach: »Hör mal, ich sage nicht, dass das richtig war von Sandy, aber du musst sie auch verstehen ...«
    Eine Familie voller Verständnis füreinander war doch was Schönes.
    Sandy schaltete den Fernseher aus, es trieb sie in die Nacht. Zog sie, rief sie.
    Ich komm ja schon, dachte sie. Dann schüttelte sie über sich selbst den Kopf.
    Sie schlüpfte aus dem Rock und in eine einfache schwarze Jeans. Die Bluse behielt sie an, machte aber noch einen Knopf zu. Wer etwas von ihr wollte, sollte sie auch so ansprechen.
    »Ich hoffe, dir faulen die Eier ab«, zischte sie dem gekreuzigten Teddy an der Wand zu und zeigte ihm stellvertretend für Martin den Mittelfinger. Dann stieg sie in ihre Pumps und stürzte sich in die wartende Dunkelheit.
    »Ich komme.«
    Sie war an mindestens hundert Kneipen und Clubs vorbeigelaufen, hatte durch Fenster gelinst, in lachende und quatschende Gesichter, hatte auf der Straße ein Mädchen gesehen, das in den Armen einer Freundin hemmungslos geweint hatte, und war immer weitergegangen. Weiter und weiter, als scheuche sie etwas kreuz und quer durch die Stadt.
    An einer roten Ampel schlüpfte sie schließlich aus ihren Schuhen und ließ sie einfach stehen. Die billigen dünnen Söckchen waren zerrissen, als sie auf der anderen Straßenseite angekommen war. Sie riss sie sich von den Füßen und schleuderte sie fort.
    »Hey! Deine Schuhe!«, rief ihr ein junger Typ hinterher.
    »Behalt sie!«, schrie sie zurück. »Ich brauch sie nicht mehr.«
    Barfuß zu laufen, war sie nicht gewohnt, die Kiesel pieksten, und als sie in eine Glasscherbe oder einen Nagel trat, zuckte sie zusammen. Aber die Wunde war nicht tief, es floss kaum Blut, das war nicht schlimm. Unter der bloßen Haut konnte sie die Stadt vibrieren spüren, ganz sanft. Es fühlte sich lebendig an, wie die Berührung eines vertrauten Menschen.
    Sie lief auf der Straße wie auf Schienen, der Boden führte sie, das Zittern der Stadt. In den Schuhen hatte sie es nicht spüren können. Was kümmerten sie da ein paar Tropfen Blut oder noch ein paar mehr bei der nächsten Scherbe? Kühler Sand und Staub drangen in die Wunden, das brannte, aber es füllte auch die Leere in ihr.
    Irgendwer pfiff hinter ihr, doch als sie sich umdrehte, sah sie zwei kichernde, aufgestylte Tussis, denen der Pfiff gegolten hatte.
    Kein einziger Jesusfreak hatte sie angesprochen, nur ein pickliger Junge, der wahrscheinlich gerade erst achtzehn geworden war.
    »So ganz allein unterwegs, schöne Frau?«, hatte er gefragt, zwei debil grinsende Freunde mit weißen Mützen und Hosen in den Kniekehlen im Schlepptau. Kein Spruch, mit dem man Preise für Originalität einheimste. Mit ausgestrecktem Mittelfinger war sie weitergelaufen.
    Sie lief und lief und lief und wollte der ganzen verdammten Welt den Mittelfinger zeigen.
    Irgendwann wusste sie nicht mehr, wo sie war, erkannte nicht die Straßen, nicht einmal das Viertel. Doch solange sie das Zittern unter den Füßen spüren konnte, war das egal.
    Leichter Wind war aufgekommen und strich ihr kühl über die verschwitzte Haut. Ihr Kopf war heiß, und sie trank den letzten Schluck aus der Bierflasche, die sie bei einem verlassenen Dönerstand geholt hatte. Weit und breit sah es nicht so aus, als würde sie hier Nachschub bekommen. Die Wohnhäuser waren heruntergekommen und mit Parolen vollgeschmiert, nur wenige Fenster erleuchtet, niemand auf der Straße. Der Abstand zwischen den Laternen wurde größer, die Hälfte von ihnen war kaputt.
    Auf der rechten Seite kauerten zurückgesetzte, gedrungene Gewerbeschuppen, das verrostete Tor zu dem Gelände stand

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