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Gebissen

Gebissen

Titel: Gebissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Koch
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schön.«
    Sie setzten sich und sahen in die andere Richtung, zum Ostkreuz, das noch immer eine große Baustelle war. Auf dieser Seite standen mehr Bäume und Büsche, und außer einem schwarzen Turm, der aussah wie ein Riesenpenis aus Stein, waren keine auffälligen Gebäude zu erkennen. Ratternd fuhr eine S-Bahn unter ihnen hindurch.
    »Rauchst du?«, fragte Alex.
    »Eigentlich nicht. Du?«
    »Auch eigentlich nicht. Aber manchmal, vor allem im Sommer ... Magst du auch eine?«
    »Ja.«
    Er holte Tabak und Papers aus der Tasche seiner schwarzen Armyhose und reichte sie ihr.
    »Ähm, ich kann das nicht. Drehst du mir eine?«
    »Klar.« Da er nicht täglich eine halbe Packung wegrauchte, fehlte auch ihm die Übung. Dennoch versuchte er, ihr eine perfekte Zigarette zu drehen, und natürlich wurde sie besonders unförmig und dick. Seine Finger verkrampften, und er hatte einfach nicht zu geizig mit dem Kraut sein wollen. Kurz musterte er die Zigarette verächtlich, dann klemmte er sie sich hinters Ohr. »Du kriegst die nächste, die ist einfach zu hässlich.«
    Die zweite gelang ihm besser. Er gab Lisa Feuer, dann sich selbst. Gemeinsam starrten sie auf die Schienen, sahen einem ICE hinterher, der gemütlich aus der Stadt rollte.
    »In der Kollegstufe bin ich manchmal nach dem Unterricht an den Bahnhof gelaufen, habe den Zügen nachgesehen und mir vorgestellt, wie es wäre, einfach in den nächsten einzusteigen und bis zur Endstation zu fahren«, sagte Lisa und hustete.
    »Und?«
    »Ich bin nie eingestiegen.«
    Alex nickte.
    »In dem Kaff, in dem ich aufgewachsen bin, gab es gar keinen Bahnhof. Aber als Kind habe ich mich vor unser Haus gesetzt und aufgeschrieben, was für besondere Autos vorbeigefahren sind, also besonders schnelle und teure, was man als Junge eben so schätzt. Die, mit denen man im Autoquartett gewinnt. Ich habe Strichlisten mit Porsches, 7er BMW und so weiter gemacht und jeden Tag auf einen Ferrari, Rolls Royce oder Lamborghini gehofft.«
    »Und? Hattest du Glück?«
    »Nein. Es ist ein kleines Kaff, da hilft es auch nicht, an der Durchgangsstraße zu wohnen.«
    Sie schwiegen, während zwei Jogger an ihnen vorbeikeuchten. Dann atmete Lisa Rauch in den Himmel.
    »Montags jobbe ich immer bis 18.00 Uhr am Empfang einer Anwaltskanzlei«, fing sie unvermittelt an zu erzählen. »Heute hat die Chefsekretärin Yvonne einen Anruf von einem befreundeten Kollegen ihres Mannes erhalten, ihr Mann sei nicht zur Arbeit erschienen, ob er denn krank wäre. Sie sagte Nein, er sei wie immer morgens aus dem Haus gegangen, wollte die Tochter noch in den Kindergarten bringen. Sie war natürlich total fertig und hat sofort im Kindergarten angerufen, doch das Mädchen ist dort nie angekommen. Und das Handy ihres Mannes war ausgeschaltet. Polizei, Krankenhäuser, Feuerwehr, niemand wusste von einem Unfall, niemand hatte sonst etwas von den beiden gehört. Sie waren einfach verschwunden.«
    »Das klingt übel.« Alex dachte an die Statistik mit den steigenden Vermisstenzahlen.
    »Alle haben wir ihr gut zugeredet, haben versucht, sie zu beruhigen, kein Unfall auf der Strecke war doch eine gute Nachricht, aber sie war völlig aufgelöst. Natürlich. Wir hoffen ja, dass der Mann einfach nur einen spontanen Ausflug irgendwohin gemacht und das Handy vergessen hat. Könnte ja sein.«
    »Ist der so ein Typ?«
    »Ich kenne ihn nicht. Sie ist zumindest ganz anders, penibel, nie auch nur eine Minute zu spät, und die Akten werden im rechten Winkel zur Schreibtischkante ausgerichtet, selbst wenn sie nur für fünf Minuten abgelegt werden. Es geht immer ums Prinzip, und das Prinzip heißt Ordnung. 110% Dienstbeflissenheit für den pedantischen Dr. Peters, unseren Chef. Ist manchmal ein wenig anstrengend, weil sie diese Ordnung auch von uns verlangt.«
    »Vielleicht auch daheim, und der Mann ist durchgebrannt?«, rutschte es Alex raus.
    »Ja, vielleicht.« Sie ließ ein kurzes Schnauben hören, dass nach einem versuchten Lachen klang.
    »Er wird schon wieder auftauchen. Mitsamt Tochter.«
    »Ja.« Sie warf die Zigarette zu Boden und trat abwesend darauf.
    Besser, er erwähnte die aktuelle Vermisstenstatistik gar nicht, auch wenn sie ihm jetzt dauernd im Kopf herumspukte. Warum hatte er heute nicht bei der Polizei angerufen, wie er es sich vorgenommen hatte? Dann wüsste er jetzt vielleicht irgendwas Beruhigendes oder Hilfreiches zu sagen.
    »Ich kenne sie wirklich nicht gut«, sagte Lisa. »Aber es nimmt einen trotzdem mit, wenn einer

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