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Gebissen

Gebissen

Titel: Gebissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Koch
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Muskeln. Lautlos beschimpfte sie ihr Spiegelbild und zog sich wieder um. Sie musste dringend drei, vier Kilo abnehmen.
    Dabei hatte sie sich heute extra einen neuen schwarzen String mit roter Rose hinten gekauft, im Rock sah den wieder keiner. Wenn schon alle Welt herumvögelte, Lisa, Martin, ihre Schwester und auch die hässliche Heike nebenan, die immer so grell und hechelnd stöhnte, dass man die Musik lauter drehen musste, dann wollte sie auch.
    Sie hatte ein Recht auf Sex!
    Heute würde sie ausgehen, die Stadt rief nach ihr.
    Lisa hätte ja ruhig fragen können, ob dieser Alex einen Freund hatte, dann hätten sie zu viert weggehen können. Aber nein, sie dachte nur an sich. Sonst rief auch niemand an, als wäre Verlassenwerden ansteckend.
    Sie zog die silberne, auf Taille geschnittene Bluse aus dem Schrank. Wenn sie die oberen beiden Knöpfe offen ließ, dann würden ihr die Männer auf die Brüste starren und nicht auf den fetten Hintern.
    »So schlecht siehst du eigentlich gar nicht aus«, sagte sie zu ihrem Spiegelbild, kippte den Rest Sekt aus der Flasche hinunter. Sie war wieder frei - irgendwo mussten sich doch die Typen finden lassen, die mit ihr geflirtet hatten, als sie noch mit Martin zusammen gewesen war.
    Hatte sie das wirklich nötig?
    Es waren doch noch Chips im Haus, und auch noch zwei Flaschen Wein. Müsste sie sich wirklich von irgendwelchen Idioten da draußen anquatschen lassen? Es war doch eh keiner treu, alles sinnlos. Egal, was passierte, jeder blieb für immer allein.
    Mit der ersten Flasche Rotwein setzte sie sich vor den Fernseher, den sie eingeschaltet hatte, als Lisa gegangen war. Ohne sie war die Wohnung so schrecklich leer gewesen. In der Küche lief das Radio, damit nirgendwo Stille herrschte, damit sie sich nicht einbildete, irgendwer rief nach ihr. Es war niemand hier, und niemand wollte etwas von ihr. Trotzdem vermeinte sie manchmal den Widerhall ihres Namens zu hören, ein Echo, die verschluckte Silbe eines ähnlich klingenden Worts, das von der Straße hereinklang. Es konnte nicht ihr gelten, und doch blickte sie sich jedes Mal um, wollte ans Fenster oder die Tür laufen, um zu schauen, wer nach ihr rief.
    Sie wollte raus.
    Sie presste das hässliche gelbe Sofakissen gegen den Bauch und starrte weiter auf die Glotze.
    Stille war das Schlimmste, seit Martin sie mit ihrer Schwester betrogen hatte. Nein, nicht nur einmal betrogen, die beiden hatten eine Affäre gehabt und waren nun seit zwei Wochen offiziell zusammen.
    Ihre verdammte eigene Schwester!
    Und eben weil es ihre Schwester war, bezogen ihre Eltern keine Position, um keine Tochter zu bevorzugen.
    »Ich sage ja nicht, dass es richtig war, was Judith getan hat, aber mit ein wenig Mühe und Geschick hättest du ihn schließlich halten können«, hatte ihre Mutter gesagt, die Stimme ganz beherrscht, der Tadel schwang nur sanft mit.
    »Judith ist meine Schwester!«
    »Ja, ich weiß. Das macht es nicht leichter, auch nicht für uns. Es ist schon seltsam, wo die Liebe hinfällt, da kann man halt nichts machen. Versuch doch auch, Judith zu verstehen. Ihr ist das nicht leichtgefallen, aber sie sagt, Martin hätte dich ohnehin verlassen.«
    »Und das macht es besser?«
    »Du musst nicht schreien, ich höre noch gut. Ich sage nur, dass man auch für Beziehungen arbeiten muss, und arbeiten ist dir noch nie leichtgefallen. Mit deiner bequemen Art verschleuderst du dein Talent. Das war schon in der Schule so, und ...«
    In diesem Moment hatte Sandy das schnurlose Telefon gegen die Wand geschmissen, war hinterhergerannt und hatte es totgetreten.
    Seitdem hatten sie nicht mehr miteinander gesprochen, aber diesen Monat hatten ihre Eltern ihr hundert Euro mehr fürs Studium überwiesen, und ihre Mutter hatte ihr eine Ich-hab-dich-lieb- Karte mit niedlicher Maus vorne drauf geschickt. Hinten stand:
    Liebe Sandy,
    lass Dich nicht entmutigen, Du findest bestimmt einen neuen tollen Mann, und dann ist alles wieder gut.
    Liebe Grüße auch von Papa,
    Deine Mama
    Zusammen mit Lisa hatte sie die Karte noch am selben Abend verbrannt.
    Im Fernsehen lief nur Schwachsinn, Sandy zappte unruhig im Kreis, dreißig Programme in Endlosschleife, bei keinem blieb sie hängen. In jeder zweiten Silbe hörte sie ihren Namen mitschwingen.
    Sie sollte raus, raus in die Stadt.
    Sie fühlte sich müde und innerlich hohl und leer, mit jedem Tag wurde es schlimmer, nicht besser. Die nächtlichen Träume fraßen an ihr, selbst wenn sie sich nicht an sie erinnerte.

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